DIE IDEE
Jetzt sind wir fünf. Begonnen hat es mit einem, über zwei und drei wurden es vier, aber es langte nicht ganz. Ein Fünfter mußte her. Verwirrend?
Der Chronologie zuliebe: Ganz zu Beginn gab es nur einen einzigen Verrückten. Wie viele Verrückte (oder Große) aller Epochen scharte er Jünger um sich, die einem strengen Ausleseverfahren unterworfen wurden. In diesem Fall mußten sie vor allem einer Bedingung genügen: Sie mußten Geld haben oder wenigstens Mittel und Wege kennen, sich welches zu beschaffen. Denn der Verrückte wollte ein Flugzeug kaufen.
Es sollte noch nicht einmal ein stinknormales Flugzeug mit zwei Flügeln, drei oder mehr Rädern, Türen zum Ein- und Aussteigen und einem Sitz für jeden Passagier werden, es stand im Gegenteil von Beginn an fest, daß kein Passagier seinen bezahlten Sitzplatz auch erhalten würde, und daß ein jeder von ihnen den Flieger durch eine Hintertür zu betreten und zu verlassen haben würde, wie Lieferanten und Vertreter und Gäste, die keiner sehen soll. Und noch eine Schikane hat sich unser Verrückter einfallen lassen: Das Aussteigen sollte im Regelfall in 4000 Metern über dem Boden erfolgen, die Passagiere sollten auf Wunsch zu diesem Zweck Fallschirme tragen dürfen. Denn der Verrückte wollte ein Fallschirmspringer-Absetzflugzeug kaufen.
Nun, Absetzflugzeuge gibt es wie Sand im Getriebe der Bürokratie, alle besseren Klubs, allen voran die Fallschirmspringerklubs, haben eines oder leisten sich gar den Luxus von zwei Maschinen, aber der Hammer liegt im Detail: Nicht drei, nicht fünf, nicht sechs Fallschirmspringer sollte das Wunschflugzeug fassen, sondern wenigstens zwanzig. Und alle, alle sollten sich gleichzeitig in die Tiefe stürzen können, wie Zecken von einem Eichenbaum, wenn ein besonders fetter und schwitzender Wanderer unten vorbeikeucht. Dazu mußte das Flugzeug ein Loch aufweisen, so groß wie der Höllenschlund, mit einem Tor, so groß wie das Himmelstor. Als er das erkannte, wußte er endlich, was er wollte: Der Verrückte wollte eine Skyvan kaufen.
Kommt man dem Verrückten einmal näher, so trifft man auf einen ganz normalen Durchschnittsmenschen. Wollen wir ihm endlich einen Namen geben? Gut denn, er heiße Walter. Freunde oder solche, die es werden wollen, dürfen auch "Burli" zu ihm sagen. Besagter Burli also führte lange Jahre hindurch das Nomadenleben eines Kapitäns der Landstraße, transportierte in einem elendslangen Ungetüm, dessen hinteres Ende bei Nebel im Rückspiegel kaum noch zu erkennen war, Bekleidung oder Kugellager oder was sonst so anfiel, quer durch Europa vom hohen Norden in die Länder des Balkans oder in die Türkei oder nach Nordafrika. Weder Hitze noch Kälte, weder Hochwasser noch meterhohe Schneewächten, weder mangelnder Schlaf noch mangelnde Wiener Schnitzel konnten ihm seinen Job verleiden. Ein einziges Hobby konnte ihn, selten genug, davon abhalten, sich pünktlich auf die nächste lange Tour zu machen: Erst wenn der letzte Sunset-Hupfer in Vöslau vorüber war, schwang er sich dann in sein Cockpit, zwei Meter über dem Boden, um gleich darauf achtzehn Stunden durchzufahren und so die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
Solange, bis eines Tages irgendjemand im Osten Europas bei den zuständigen Grenzorganen den Tip verbreitete, unser Walter führe Schmuggelware. Auf der Heimfahrt von Bulgarien nahm man seinen Koloß gleich an zwei Grenzen fast bis auf die letzte Schraube auseinander, die Zöllner, die ihn sonst mit "Hallo Walter" begrüßten, verprügelten ihn zweimal, weil er nicht gestehen wollte, wo nichts zu gestehen war. Da hatte er die Nase voll und warf das Handtuch.
Die nächsten Monate sahen ihn in der Abgeschiedenheit des Hochgebirges. Er nahm einen Job auf einer hochgelegenen Baustelle am Zillergründl im hintersten Tiroler Zillertal an, wo für eine gewaltige Kraftwerksanlage eine 180 Meter hohe Staumauer gebaut wurde. Harte Arbeit gegen gute Bezahlung, wenige Möglichkeiten der Freizeitgestaltung, keine Gelegenheit zum Geldausgeben, der nächste Flugplatz - Innsbruck - gut 80 km entfernt, aber viel Zeit zum Nachdenken und Pläneschmieden. Aus dieser Zeit stammt DIE IDEE.
Als sie geboren war, konnte nichts den einsamen Wolf mehr halten. Er besorgte sich Unterlagen und Informationen, studierte die Möglichkeiten, den Markt und die Nachfrage, bis er wußte, was er wollte. Da das Projekt, das er ausgegoren hatte, die Kapazität eines einzelnen bei weitem überstieg, mußte er nun darangehen, Gleichgesinnte zu gewinnen, die wie er an die Durchführbarkeit glaubten und mithelfen sollten, DIE IDEE auf eine solide wirtschaftliche Basis zu stellen und in die Tat umzusetzen.
DAS TEAM
Mittlerweile nützte Burli, nach Abschluß der Tiroler Eremitage wieder in Wien, die Gelegenheit, die an der Staumauer aufgestauten Geldmittel mit der Erwerbung eines Privatpilotenscheins wenigstens teilweise wieder loszuwerden. Was lag näher, als Thomas, seinen Fluglehrer, mit dem ihn schon lange Freundschaft verband, für die Idee zu gewinnen. Anfängliche Skepsis - "...und wie hast du dir jenes vorgestellt? ...und dieses?" - konnte er mit Argumenten zerstreuen, mit Gesprächsnotizen, hier und dort auch mit bereits erhobenem Zahlenmaterial. Beiden war jetzt schon klar: Es würde Unmengen von Geld kosten und Unmengen an Arbeit in rechtlicher, technischer, organisatorischer und betrieblicher Hinsicht. Aber es müßte zu machen sein.
In dieser Phase stieß ein Mann zum Team, den das Projekt brauchte wie keinen zweiten. Edi, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Experte im Umgang mit dem Rotstift, Profi im Steuerrecht. Er war ungleich schwerer zu überzeugen, befand das vorhandene Zahlenmaterial als äußerst dürftig, reduzierte das hochfliegende Gedankenmaterial auf einfache Zahlenbeispiele, die er jeweils mit dem Rotstift abschloß, dämpfte den Überschwang durch Hinweise auf praktische Erfahrung mit an und für sich guten, aber nicht konsequent durchgedachten Plänen.
Erst Wochen später, nach vielen schlaflosen Nächten, in denen er neben seiner aufreibenden Tätigkeit in einer angesehenen Wiener Wirtschaftskanzlei Berechnungen anstellte, überlegte, Modelle entwarf und wieder verwarf, konzipierte und Papier vollschmierte, und schließlich unterm Strich mehr schwarze als rote Zahlen gewann, ließ er sich zu der vorsichtigen Bemerkung hinreißen: "Wenn uns kein entscheidender Fehler unterläuft, könnte es unter günstigsten Umständen vielleicht möglich sein." Da hatten sie ihren dritten Mann.
Die Planung ging nun ins konkrete Stadium. Zuallererst mußte ein Flugzeugtyp gefunden werden, der den Anforderungen entsprach. Burli und Thomas entschieden sich für eine CASA 212 mit dreißig Plätzen. Angebote wurden eingeholt und geprüft, Finanzierungskonzepte entworfen, Vorgespräche geführt. Der Brocken erwies sich als nur schwer verdaulich. Schließlich gab den Ausschlag die Tatsache, daß die CASA nur mit zwei Piloten geflogen werden darf, von denen im kommerziellen Einsatz einer Inhaber des Berufspilotenscheins II. Klasse sein muß. Über die daraus resultierenden Personalkosten wurde das Projekt CASA wieder zu Grabe getragen.
Ich, Gerhard, wie Burli und Edi ehemalige Flugschüler von Thomas, und in ständiger lockerer Verbindung mit der Pläneschmiede in der Endresstraße, stieß, Großes ahnend, aber unvollständig informiert, gerade als vierter Unrettbarer zu der Crew, als das Projekt SKYVAN knapp vor der Entbindung stand. Wie zuvor wurden Kontakte hergestellt, ellenlange Telefonate geführt, heißgelaufene Telexmaschinen mit dem Öl der Begeisterung gekühlt. Short's Brothers, Belfast, Hersteller der Skyvan, verwiesen uns an einen Flugzeugdealer in England, der gebrauchte Skyvans anzubieten hätte. Ein zähes Ringen um Preise und Konditionen setzte ein, hunderte Details waren zu klären, oft saßen wir bis zwei Uhr morgens beim Brain Storming. Dealer Alan in Old London dürfte es nicht anders ergangen sein, denn nicht selten läutete in den frühen Morgenstunden das Telefon, und Alan meldete sich mit den Worten "I have thought about, but, Thomas ...". Alle gaben ihr letztes, vor der ersten Besichtigung des Kaufobjekts alle offenen Fragen auszuräumen, denn die Maschine, die wir kaufen wollten, stand ... in Singapur.
Über die Finanzierungsverhandlungen, die schon seit Monaten im Laufen waren, will ich im einzelnen gar nicht berichten. Es war ein äußerst dornenvoller Weg, und wir haben alle sehr gelitten. Da wir einsehen mußten, daß es zu viert ein Vorhaben auf Biegen und Brechen werden würde, ohne ausreichende Reserven und Bewegungsfreiheit, mußte ein Fünfter her (siehe oben). Er fand sich in Person von Ewald, eines Freundes von Edi, Geschäftsführer der deutschen Niederlassung eines großen multinationalen Unternehmens, den als einzigen von uns nur einige Mond-Erde-Distanzen im Linienflugzeug mit der Fliegerei verbinden - als Passagier. Ihn zum richtigen Zeitpunkt zu gewinnen, hat alle folgenden Transaktionen erst ermöglicht. Jetzt erst konnten wir sicher sein, nicht mehr an der Finanzierung zu scheitern und konnten uns voll auf den technischen, rechtlichen, behördlichen und administrativen Hindernislauf konzentrieren. Wir haben die Befreiung vom siebenten, dem Geldübel, sehr genossen und begossen.
SINGAPUR, DIE ERSTE
Längst schon, schon seit dem ersten halbherzig hingeworfenen "Oder vielleicht eine Skyvan? ..." sind die Verbindungen zu der einzigen Institution in Österreich geknüpft, die mit Skyvans operiert: zum österreichischen Bundesheer. Dort gibt es Techniker, die seit zehn oder fünfzehn Jahren auf Maschinen dieser Type herumschrauben, Piloten, die tausende Stunden damit geflogen sind. Es sind Leute, die in der Lage sein sollten, den Zustand einer Skyvan nach eingehender Inspektion mit einiger Treffsicherheit diagnostizieren zu können, Leute, die sich nicht von Äußerlichkeiten beeindrucken lassen, Leute, die ihren Job gelernt haben und beherrschen, Leute, wie Vizeleutnant Franz Scholz und Offzstv. Herbert Mayerböck. Leute, wie wir sie brauchen würden, nötiger als das sprichwörtliche Stück Brot, sollte der Flugzeugkauf nicht der größte wirtschaftliche Flop für alle Beteiligten werden.
Die in Gründung befindliche Burli Air setzt die erste kostenintensive Aktion: Sie schickt ihren Geschäftsführer Thomas mit Wunsch- und Wahltechniker Franz über London nach Singapur mit dem Auftrag, den Mittelpunkt unserer Lebensinteressen, schlaflosen Nächte und rotzahligen Kontoauszüge einem ersten Lokalaugenschein zu unterziehen. Der Wettlauf mit der Zeit hat begonnen: Wir schreiben den 19. Jänner 1986, in rund zwei Monaten ist Saisonbeginn. Am 20. nachmittags erreicht uns, die wir voller Ungeduld daheimgeblieben sind, ein Telex aus dem Hotel Miramar in Singapur, das uns die Ankunft der beiden und den ersten persönlichen Kontakt mit dem aus London "mit gleicher Post" ebenfalls angereisten Aircraft Dealer Alan bestätigt. Flugzeug habe man noch keines gesehen, mit Alan "sei jedoch gut auszukommen". Was immer das heißen möge.
Während in Singapur schicksalsträchtige Untersuchungen am lebenden Objekt stattfinden, bemüht sich die Wiener Stammannschaft um nebensächliche Kleinigkeiten wie die Vorbereitungsarbeiten für die Eintragung ins Luftfahrzeugregister, die österreichische Zulassung, die durch einen Beamten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt direkt in Singapur vorgenommen werden soll - schließlich wollen wir nicht eine Maschine kaufen und nach Europa überstellen, von der sich erst in Wien herausstellt, daß sie, aus welchen Gründen auch immer, keine Aussicht auf österreichische Zulassung hat -, organisiert den Abschluß aller notwendigen Versicherungen auf Abruf, beißt sich durch notwendige Änderungen und Ergänzungen des Kaufvertragsentwurfes, Geldüberweisungen, Bankgarantien, kämpft mit Problemen wie Eigentums- und Gefahrenübergang und nicht zuletzt mit der Buchung des Rückfluges für Franz und Thomas.
Am 22.1. erfahren wir fernschriftlich, daß das Kaufobjekt der technischen und papiermäßigen Erstkontrolle im großen und ganzen standgehalten hat. Aber lassen wir an dieser Stelle Thomas selbst berichten:
Nach langem nervenzermürbenden Hin und Her war es endlich soweit! Am 19.1.1986 bestiegen wir die Linienmaschine zur ersten Etappe nach Singapur. Wir, das sind Franz Scholz, der es bis zum Abflug nicht glauben wollte, daß wir ausgerechnet im fernen Osten, 10.000 km von der Heimaterde entfernt, einen Flieger kaufen wollten, und dessen festumrissene Aufgabe darin bestand, in der kurzen uns zur Verfügung stehenden Zeit den Gesamtzustand der Skyvan zu erforschen und anhand der Lebenslaufakte die Fälligkeit der nächsten größeren Wartungen zu eruieren; und ich selbst, der fern der europäischen Zivilisation sich ein Bild davon machen sollte, ob die Überweisung einer nicht eben geringen Geldsumme in diese Weltgegend ein vertretbares oder aber ein unüberschaubares Risiko darstellt, und der letztendlich auch den Kaufvertrag aushandeln sollte.
In der Gewißheit, daß meine Partner uns kalt lächelnd abmurksen würden, sollte sich unsere Einschätzung der Gegebenheiten jemals als falsch herausstellen, bestiegen wir also mit gemischten Gefühlen um 7 Uhr früh die Maschine nach London, um dort Alan, den Verkäufer der Skyvan, zu treffen. Wir fanden zwar unsere Tickets für den Weiterflug nach S'pur am JAT-Schalter, jedoch keine Spur oder Nachricht von Alan. Er tauchte erst, ganz streßgeplagter Manager, nach dem dritten und letzten Aufruf mit hängender Zunge zum Einchecken auf. Der erste Eindruck: ganz und gar Engländer, nicht unsympathisch, noch ein wenig auf Distanz, aber durchaus zum Auftauen bereit.
Der Komfort, den die Jugoslav Air Transport ihren Fluggästen bietet, läßt sich mit jenem der Pink Skyvan, wie ihr sie heute kennt, absolut auf eine Stufe stellen - wobei ihr sicher sein könnt, daß wir uns der minderen Qualität unseres In-Flight-Service durchaus bewußt sind. Mit Zwischenlandungen in Zagreb, Belgrad, Dubai und Kuala Lumpur (Malaysien) beförderte uns diese Un-Linie in 26 anstrengenden Stunden nach Singapur. In K. L. bekamen wir übrigens einen ersten Eindruck davon, was Tropenwetter heißt: 42 Grad Celsius im Schatten bei wolkenbruchartigem Regen, der, kaum am Boden, auch schon wieder verdampft war. Als es übergangslos zu regnen aufhörte, war der Beton so gut wie trocken, nur die Luft war ohne Kiemen kaum zu atmen. Auf diesem langen Flug lernten wir Alan ganz gut kennen. Es stellte sich heraus, daß er vor einiger Zeit sogar selbst schon ein paar Sprünge gemacht hatte.
In Singapur wurden wir von einem Vertreter des Skyvan-Eigentümers empfangen, einem schwarzen Inder und ehemaligen Major der malaysischen Luftwaffe, der unverzüglich anhub, unseren Entschluß zu preisen, den Ankauf eines solch erstklassigen, ja perfekten Flugzeuges wie eben dieser Skyvan ins Auge gefaßt zu haben. Uns war allerdings eher nach einem Bett zumute, bevor wir irgendwelche weiteren Aktivitäten setzen wollten. Im Hotel Miramar, nahe dem Stadtzentrum des Stadtstaates von Singapur, fanden wir bald komfortable Aufnahme.
Wir ergaben uns einem 20-stündigen erholsamen, ununterbrochenen Schönheitsschlaf, erfrischten uns zur Morgengymnastik im ungeheizten, daher nur 28 Grad warmen Swimmingpool am Hoteldach und brachen nach dem Frühstücks-Mittagessen zu einer ersten Besichtigung auf. Die Taxifahrt quer durch S'pur verstärkte den ersten Eindruck einer wirklich schönen, sauberen Großstadt. Singapur ist eine Insel am südlichsten Zipfel der malaysischen Halbinsel, nur durch eine schmale Wasserstraße vom Festland getrennt, mit bewegter Geschichte. Die "Stadt des Löwen" Singa-Pura weist bei einer Bevölkerung von etwa 2 Mio den größten Hafen Südostasiens auf, sicher ein Grund dafür, daß die Wirtschaft des Landes hauptsächlich auf den Handel ausgerichtet ist. Seit 1965 ist Singapur ein unabhängiger, selbständiger Staat.
SKYVAN, DIE ERSTE
Der Flugplatz Seletar ist einer von acht auf der nur 581 Quadratkilometer großen Insel. Wir staunten nicht schlecht, als wir, kaum angekommen, eine Skyvan nach der anderen, wie zur Begrüßung bestellt, starten, andere landen sahen, und eine ganze Flotte davon auf der Abstellfläche vorfanden. Unsere Auserwählte präsentierte sich mit dem fremdartig anmutenden (indonesischen) Kennzeichen PK-PSG, weiß mit einem roten Streifen, häßlich langweilig und nach rosa Farbe dürstend.
Allsogleich zückte Franz das Schraubenzieherset und begann in der Art der Herzchirurgen in den Eingeweiden herumzuwühlen und nach funktionsschwachen Organen zu fahnden. Vor allem jegliche Anzeichen von Korrosion hatten es ihm angetan. Kein leichtes Unterfangen bei Temperaturen um die 40 Grad und mit relativ wenig Unterstützung durch den Eigentümer, dessen Vertreter Franzens Eingriffe mit skeptischer Nachdenklichkeit beobachtete. Am nächsten Tag jedoch stand nach einem Triebwerksprobelauf die Diagnose fest: Trotz Baujahr 1972 erstklassiger Gesamtzustand, keine nennenswerte Korrosion, ordentlich gewartet, nur vielleicht mit etwas wenig Liebe zum Detail.
Von dieser angenehmen Erstbeurteilung beflügelt, begannen wir nun im vollklimatisierten Büro, etwa 30 Kilo Altpapier - Wartungslisten, Engine Logs, Modifikationslisten, Propellerlogbücher, Flugbücher, Beanstandungslisten etcetera - durchzusehen. Eines war uns dabei klar: Fehlte auch nur ein kleines Detail in den Lebenslaufakten, so konnten wir ernsthafte Schwierigkeiten bei der Zulassung erwarten. Nachdem wir also zwei volle Tage über den Papieren verbracht hatten, waren wir bereit zu weiteren Kaufverhandlungen. Denn auch diese Prüfungen hatten - wie wir es erhofft, aber im Grund unserer österreichisch-mißtrauischen Seele doch nicht ganz erwartet hatten - ein absolut positives Ergebnis erbracht.
Der Kaufpreis stand zu diesem Zeitpunkt zwar schon fest, es galt jetzt jedoch, Konditionen bei den Ersatzteilen, Wartungsleistungen und Zahlungsmodalitäten herauszuschinden. Nach zähen Verhandlungen wurde der Vertragsentwurf nach Wien getelefaxt (per Fernkopierer über Bildfunk) und dort noch einmal auf Pferdefüße kontrolliert. Nach Einbau der aus Wien rückübermittelten Änderungen und Ergänzungen wurde wieder und wieder verhandelt und abermals bei den Partnern rückgefragt, all das Hin und Her noch erschwert durch den Zeitunterschied von 8 Stunden. Tauchten etwa frühmorgens Fragen auf, so war es in Wien knapp nach Mitternacht, einigten sich die Freunde in Wien - die ja ihren Berufen nachzugehen hatten - am frühen Abend auf eine Lösung, so schlug in Singapur gerade die Geisterstunde. Alle hüben und drüben waren geschafft, als der Vertrag endlich unterschrieben war. Dafür waren wir jetzt Besitzer einer Skyvan - zumindestens am Papier.
Am Rückflug wurde gefeiert, soweit das in Flugzeugen der JAT überhaupt möglich ist. Über den Umweg Belgrad - Zagreb - Frankfurt erreichten Franz und ich am 23.1. wieder Wien. Das Empfangskomitee in Wien überfiel uns, ausgehungert nach Informationen, mit hunderten Fragen - es waren ja immer nur die notwendigsten Tatsachen fernschriftlich übermittelt worden. Bei den Erzählungen wurde uns aber bald bewußt, daß wir in der letzten Woche zu nur knapp 20 Stunden Schlaf gekommen waren. Bevor die Diskussionen das unsachliche Stadium erreichen konnten, gaben wir denn dem Körper nach, der sein Recht nach einem Bett verlangte.
RÜCKSCHLÄGE
Am nächsten Tag war die vereinbarte Banküberweisung zu vollziehen. Edi Tschofen, unser Finanzdirektor - wie wir ihn alle nennen -, hatte ganze Arbeit geleistet. Erforderliche Bewilligungen der Nationalbank lagen alle vor, das Geld lag auf der Bank, die Überweisung konnte in Auftrag gegeben werden. Die Creditanstalt-Bankverein in Wien-Mauer als unsere Hausbank erwies sich als hilfsbereiter und kompetenter Partner. Leider aber, wie bei internationalen Banktransaktionen üblich, blieb das Geld bei ausländischen Banken einige Tage liegen, in unserem Fall wohl einige Tage zu lang. Der Flugzeugdealer in Singapur verlor, als auch nach Tagen noch kein Geld eingetroffen war, die Nerven, packte eine sich bietende Gelegenheit beim Schopf und verkaufte unser Flugzeug ein zweites Mal.
Verzweiflung und Enttäuschung machten sich in Wien breit, und vor allem Sorge um unser Geld. Telefonisch wurde uns ein Angebot gemacht: Ein zweites Flugzeug stünde zum Verkauf, zu den gleichen Konditionen. Hier gleich euphorisch JA zu brüllen wäre der perfekte Kuhhandel mit der Katze im Sack geworden. Franz Scholz mußte ein weiteres Mal an die Front.
Der nächste Tiefschlag: Franz, der Mann, der uns wieder einmal aus der Patsche helfen sollte, lehnte ab, da sein restlicher Urlaub schon verplant war. Nach stundenlangen Verhandlungen mit seinem Dienstgeber und seiner zähen Gattin - dieses Adjektiv gilt selbstverständlich nur ihrer Verhandlungstaktik, schließlich hatte sie ja das gute Recht, den spärlichen Resturlaub gemeinsam mit ihrem Mann verbringen zu wollen - konnten wir ihn letztlich doch noch überreden. Er knüpfte nur eine Bedingung an seine Zusage: Nicht wieder mit der JAT ...
SINGAPUR UND SKYVAN, JEWEILS DIE ZWEITE
Das hätten wir ihm schon aus Gründen der Menschlichkeit nicht angetan. Unter dem Motto "die beste Airline für die besten Leute" buchten wir für ihn und seine Frau Singapore Airlines. Am 10. Februar, zwei Tage nach seiner Ankunft in Singapur, enthob uns ein Anruf der Sorge um sein und unser aller Wohl: Singapore Airlines sei das Optimum, die "neue" Skyvan PK-PSF sei noch besser als die "Alte" ... Skyvan natürlich. Der Flieger und mithin auch Familie Scholz befänden sich allerdings in Djakarta, der Hauptstadt von Indonesien. Dorthin seien sie weitergeflogen. In Wien kam wieder Freude auf.
Nach seiner Rückkehr wurde Franzl gebührend gefeiert, bedankt und betankt. Stichwort "danken": An dieser Stelle sei ein herzliches Dankeschön an die Adresse von SAB-Tours in Wels gerichtet. Herr Hasengruber aus diesem Reisebüro hat es mit uns nicht leicht gehabt. Gebuchte Billigstflüge hat er uns auch noch im letzten Moment umbuchen können, und Unmögliches hat er mit einem "ja ja, das mach ma schon" im Handumdrehen einfach perfekt erledigt. Seinem Chef, Hans Schierl, Alfred Schwabs Schwiegervater, ließen wir bestellen, daß bei ihm ein Märchenprinz in Lohn und Brot stünde, wie es ihn wahrscheinlich nicht noch einmal gibt. Wir stehen nicht an, unbezahlte Schleichwerbung zu betreiben: Die Telefonnummer des Reisebüros ist Österreich - 07242/22013.
VORBEREITUNGEN
Nun begann in Österreich der Behördenhürdenlauf. Eine Gesellschaft mußte gegründet, das Flugzeug ins österreichische Luftfahrzeugregister eingetragen, so mancher Weg zum Bundesamt für Zivilluftfahrt erledigt werden. Als Prüfer, der die Lufttüchtigkeit der Skyvan nach Abschluß der noch vom Verkäufer durchzuführenden Wartungsarbeiten in Singapur feststellen sollte, wurde Ing. Josef Eisnecker bestellt. Uns war von Anfang an klar, daß dieser Mann eine Schlüsselfigur für unser Unternehmen sein würde. Er besitzt den Ruf eines genauen und strengen Prüfers, was uns ursprünglich nicht gerade glücklich stimmte. Schon bei den ersten Gesprächen stellte sich heraus, daß er von seinem Job viel versteht, für unsere angespannten Nerven fast ein wenig zuviel.
Unsere Sorgen waren teils ernster Natur, wie etwa die Ausräumung von Unklarheiten bezüglich der zulässigen Lärmemission, teils profaner Natur wie die Lösung des Problems mit der Farbe. Weiß mit irgendwelchen Streifen kam nicht in Frage, wir wollten ein Flugzeug und kein Zebra. Jedenfalls sollte die Farbe wie eine Ohrfeige wirken, sie sollte jedem im Gedächtnis bleiben, der mit ihr in Berührung kam. Kellygrün oder Pink kamen in die engere Wahl. Das Ergebnis der Debatte ist offensichtlich.
Am 21.2. flog Walter Dürauer, vulgo Burli, nach Singapur, um unsere Präsenz zu dokumentieren und den Fortgang der Wartungsarbeiten zu überwachen, während die Wiener Home Base begann, sich dem Problem der Überstellung der Maschine nach Europa zu widmen. Militärisch betrachtet hatten wir in zwei Stoßrichtungen zu operieren: Wir hatten einerseits die Mannschaft für den Ferry-Flug zusammenzustellen, und andererseits die 12 erforderlichen Überflugsgenehmigungen zu erlangen.
Zur Crew: Herbert Mayerböck, 1986 seit 9 Jahren österreichischer Bundesheer-Skyvan-Pilot, war schnell überredet. Welchen Piloten gibt es schon, den eine solche Aufgabe mit ihren abenteuerlichen Randbedingungen nicht reizte? Daß Franz Scholz' Anwesenheit auch nicht von Nachteil wäre, sollte etwa im tiefsten Indien ein Triebwerk streiken oder ein Reifen platzen, stand außer Frage. Wieder wurde er heftig bekniet, und zu unser aller Erleichterung ließ er sich nochmals erweichen. Ein wenig geholfen hat sicherlich der Hinweis, daß schließlich auch in Zukunft die Wartung des Fliegers in seinen bewährten Händen liegen würde. Ich selbst wollte mir die Aktion auf gar keinen Fall entgehen lassen, und für Thomas war es natürlich auch keine Frage. Burli war ohnehin schon in Singapur, den würden wir nicht mit zehn Pferden in einen Airliner bringen. Fünf Leute, eine ausgewogene Mischung aus vier Piloten und einem Bordtechniker. So blieb noch ausreichend Platz für viel, viel Sprit in den geplanten Zusatztanks.
Für die Erlangung der Überflugsfreigaben wurde ich, Gerhard, eingesetzt, der ich in der Folge in meiner Freizeit nicht Fallschirmspringer, sondern ellenlange Telexe absetzte, beinhaltend Art und Zweck des Fluges, Halter des Flugzeugs, Angaben über Besatzung und Maschine, beabsichtigte Flugroute, Zeitplan, Wünsche nach Landeplätzen und Betankung usw. Mittels Computers telexte ich nach Malaysien, Thailand, Burma, Bangladesh, Indien, Pakistan, Dubai, Oman, Saudiarabien, Ägypten und Syrien. Drei Wochen vor dem geplanten Überstellungsflug hatten wir alle "Overflight, Landing and Refuelling Clearances" (Überflugs-, Lande- und Betankungsfreigaben) beisammen.
SINGAPUR, DIE DRITTE
Am 7. März flog Thomas mit Franz und natürlich Singapore Airlines zum 2. bzw. 3. Mal nach Singapur, um die Vorbereitungen für die Lufttüchtigkeitsprüfung durch unser Bundesamt zu treffen. Die Wartungsarbeiten liefen zügig voran, die chinesischen Lackierer fragten sie oft kichernd, ob wir uns in der Farbe nicht geirrt hätten, und lackierten dann doch - kopfschüttelnd - weiter. Am 14. März kamen dann plangemäß Herbert, Ing. Eisnecker und ich selbst in Singapur an.
Als der Prüfer zum ersten Mal des inzwischen fertig lackierten Flugzeugs in voller Farbenpracht ansichtig wurde, sah er sich wohl in seiner Vermutung bestätigt, daß er es nicht mit ganz normalen Leuten, sondern vielmehr mit nicht ganz normalen Leuten zu tun haben könne. Er trug es aber mit Fassung und stürzte sich in die Arbeit.
VERZÖGERUNGEN
Obwohl Franz immer wieder beruhigend auf uns alle einwirkte, bangten wir doch alle vor der Frage: Wird Herr Eisnecker einen gravierenden Mangel entdecken, den wir übersehen hatten? Ein technisches Detail, ein papierenes Hindernis? Die Sorge erwies sich als unbegründet. Dafür tauchten wie Monster aus dem Urschlamm plötzlich Probleme bei der Ersatzteilbeschaffung und Schwierigkeiten mit den Mechanikern auf. Was immer wir brauchten, es war auf einmal nicht aufzutreiben. Wen immer wir brauchten, er hatte an einem anderen Flieger Dringendes zu werken. Es ging soweit, daß einen ganzen Tag lang kein Mensch sich unseres Fliegers erbarmte, mochten ihm auch noch sosehr die Eingeweide aus der Beplankung hängen, mochten die toten Augen im Instrumentenbrett auch noch so traurig blicken. Die Propeller waren noch nicht eingelangt, die Klappen und Ruder lagen in der Halle in allen Stadien ihrer Entstehungsgeschichte verstreut, und es fehlte an tausend Kleinigkeiten. So mußte etwa Silvia Wagner von Wien aus Hydraulik-Hochdruckschläuche aus Belfast und Triebwerkszündkerzen aus Arizona/USA organisieren. Wir selbst gingen am Werftgelände und in Singapur auf Einkaufstour, um statt Souvenirs Feuerlöscher-Kartuschen oder eine Benzinpumpe aufzutreiben. Der Zustand wurde unhaltbar.
Die Ursachen der Schwierigkeiten waren bald gefunden: Die Ersatzteilhändler wollten die Preise hinauflizitieren, die Werft ihre Arbeitskräfte erst nach Feierabend an unserer Maschine einsetzen, um saftige Überstunden kassieren zu können. Nachdem wir uns in oft nicht mehr sehr friedlichen Diskussionen mit den Werfthaien geeinigt hatten, ging auf einmal alles wie am Schnürchen. Busy like bees, emsig wie die Bienen, bevölkerten die Arbeiter unsere Skyvan, die Ersatzteillieferanten stolperten übereinander. Durch die mißliche Periode der Untätigkeit jedoch verzögerte sich die Fertigstellung schließlich so lange, bis unser Prüfer, der über die offizielle Dauer seiner Dienstreise hinaus schon aus eigenem Antrieb seinen freien Samstag angehängt hatte, beim besten Willen nicht mehr länger bleiben konnte. Sehr betroffen geleiteten wir ihn geschlossen zum Changi Airport und "feierten" den Abschied im Flughafen-Restaurant bei vielen, vielen very, very cold Tiger Beers, bis seine Maschine aufgerufen wurde.
Fast hätte es ja noch geklappt: Herr Eisnecker hatte seine Überprüfung schon soweit abgeschlossen, daß nur mehr der vorgeschriebene Werkstattflug fehlte. Leider vermasselte an diesem angehängten letzten Tag, als die Skyvan mit dem mühsam aufgemalten OE-FDL schon fertig betankt abflugbereit im Freien stand, ja Herbert sogar schon den Flugplan aufgegeben hatte, ein tropisches Gewitter die letzte Chance und blies unsere Hoffnungen mit 90 km/h davon.
Unsere anfänglichen Befürchtungen, die Zulassung betreffend, haben sich als unbegründet erwiesen, Herr Eisnecker war ein sehr angenehmer, aber auch sehr korrekter Prüfer. Wenn man über eine Woche lang eng zusammenarbeitet, kann es nicht ausbleiben, daß man sich auch menschlich näher kommt. Wir sind Freunde geworden. Was nicht mißverstanden werden soll. Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps. Er schenkt uns auch weiterhin bei Überprüfungen nichts und piesakt uns wie Hinz und Kunz. In unserer Achtung reiht ihn das höher als wenn er hier oder dort ein Auge zudrücken würde. In der Zwischenzeit haben wir ihn auch alsTandempassagier gewonnen, und es ist nur mehr eine Frage der Zeit, bis man ihn in einem Stern hängen sieht. Seither nennen wir ihn Josef. Wie unter Springern üblich.
ZWISCHEN HOFFNUNG UND ENTTÄUSCHUNG
Am Samstag, dem 22.3.86, war also Ing. Eisnecker, der unsere Skyvan in Singapur österreichisch zulassen sollte, teils verrichteter, in entscheidenden Punkten aber unverrichteter Dinge wieder nach Wien abgereist. Er hatte alles getan, was in seinem Ermessensbereich lag, aber die Schwierigkeiten und Verzögerungen waren nicht mehr wettzumachen. Eine 1:100-Chance hatte er uns noch beim Abflug offeriert: Wenn sein Chef einverstanden sei, könnte er sich vorstellen, daß der Werkstattflug, der einzig noch fehlende krönende Abschluß der Zulassungsüberprüfung, ohne seine persönliche Anwesenheit in Singapur stattfinden könnte. Was für uns Sein oder Nichtsein bedeutete, denn: Für eine neuerliche Auslandsdienstreise hätte Herr Eisnecker wieder einen Ministerratsbeschluß gebraucht, und den hätte er um die Osterzeit wohl kaum zuwegegebracht, da der Ministerrat unseretwegen schließlich nicht permanent tagt. Eine Verschiebung des Rückfluges um 4 bis 6 Wochen wäre die unvermeidliche Folge gewesen. Keiner von uns hätte solange bleiben können, was wiederum Unmengen an Reisespesen zur Folge gehabt hätte.
Am besten taten wir in dieser Situation also so, als ob sicher damit zu rechnen sei, daß Herr Eisnecker uns Montag morgen mit der freudigen Botschaft überraschen werde, alles sei in Butter. Wir setzten also den Abflug (mit der Skyvan, versteht sich, an ein anderes Beförderungsmittel konnten und wollten wir gar nicht denken) auf kommenden Freitag fest, spät abends oder nachts, planten die Route neuerlich durch und setzten vom Hotel aus an alle Staaten, die wir passieren wollten, zum wiederholten Male Telexe mit dem Ersuchen um Überflugs- und/oder Landegenehmigungen ab. Denn selbstverständlich waren alle Freigaben befristet erteilt worden und mittlerweile abgelaufen. Den Rest des Sonntags pflegten wir unseren seelischen, teils auch den physischen Katzenjammer am Swimmingpool und bei einem ausgedehnten Spaziergang durchs farbenfrohe Chinatown. Jeder umschiffte im Gespräch elegant die Klippen des Skyvanthemas getreu dem unausgesprochenen Motto: Abschalten und Bier trinken.
Montags endlich fällt die Entscheidung: Silvia meldet sich mittags aus Wien, meldet die Ankunft des Prüfers aus Singapur und seine nochmals bekräftigte Entscheidung, sein möglichstes für uns tun zu wollen. Abends Singapurzeit telefoniert Thomas mit ihm. Alle Farbe weicht aus unseren Gesichtern, als Thomas uns zusammenfassend auffordert: "Kommt, packt alles zusammen, wir fliegen heute mit der SIA!"
Erst nachdem er sich lange genug an unseren schreckverzerrten Fratzen geweidet hat, rückt er mit der Wahrheit heraus. Herrn Eisneckers Chef sei in Canada, könne also nicht befragt werden, also habe unser Prüfer selbständig entschieden, daß er beim Werkstattflug nicht persönlich an Bord sein müsse. Er habe zwar ein paar Auflagen erteilt und die Durchführung aller "Nullerpunkte" - Punkte der Beanstandungslisten, die "vor dem nächsten Flug" zu beheben sind - nochmals kategorisch gefordert, und er werde uns außerdem ganz sicherlich in der Luft zerreißen, wenn er in Wien feststellen sollte, daß irgendeine seiner Auflagen nicht eingehalten worden sei, aber ansonsten wünsche er uns viel Glück für den Rückflug.
Die Nachricht löst unbeschreiblichen Jubel aus sowie einen ausgedehnten Besuch im "Newton-Center" - einer Mischung aus chinesischem Restaurant und Wiener Heurigem. Man sitzt auf Holzbänken an langen Tischen, läßt sich die undefinierbaren, aber köstlichen Spezialitäten munden und stillt den Durst mit dünnem kühlen Bier. Wir verkneifen uns den Genuß der unter den Bänken herumstreunenden Katzen, die, würden wir nur mit dem Finger auf eins dieser mageren Geschöpfe zeigen, die aussehen wie fellüberzogene Gerippe, im Nu - "Fried, one US" (gebraten 1 Dollar) - fertig zubereitet auf unserem Teller liegen würden, huldigen aber ausgiebig einem anderen Volkssport: dem Feilschen.
Es vergeht kein halbes Bier, da kann der nichtchinesische Besucher seine Präsente und Souvenirs bereits aus einer Unmenge von Angeboten wählen: Ringe, Uhren und Sonnenbrillen bekannter Markenfirmen wie auch echt chinesische Sonnenschirme und vieles mehr wird unter dem Siegel der Verschwiegenheit aus einem von tausend Löchern und Säcken gezaubert: "You want a Rolex? Look here, 40 dollars for you, you are my friend." Yes, we want a Rolex. Sogar zehn. Besser zwanzig. Für die Flugplatzangestellten, Zöllner, Gesundheitsbeauftragten und sonstigen Nutznießer des internationalen Flugverkehrs, denen wir auf unserem Heimflug begegnen würden. Etwa in Indien, Pakistan oder Arabien. Nach stundenlangem Feilschen kannten wir die Schmerzgrenze der Dealer und erhielten unsere Rolex's for 10 US each. Womit unsere Spesenstelle hoffentlich endlich weiß, daß das ein dienstliches Besäufnis war.
PRE FLIGHT CHECKS
Am nächsten Morgen (Dienstag, 25.3.) ist dennoch alles voll Elan! Wir wissen jetzt, wofür wir arbeiten. Franz und Thomas kümmern sich in Seletar um Trimmungseinstellung und Compass Swing, Herbert und ich arbeiten an den Überflugsgenehmigungen (die erste aus Dubai trifft bereits 3 Stunden später ein) und fahren zum Changi Airport, um Flug- und Wetterberatung aufzusuchen. Die Flugberatung für die allgemeine Luftfahrt war mit einem absolut desinformierten Chinesenmädchen ein wenig unterbesetzt, die Wetteraussichten für den Rest der Woche hoben die Stimmung jedoch wieder: Durchwegs Schönwetter bis rüber nach Europa, nur vereinzelt Gewitter. Von den Piloten aus konnte es losgehen.
Im Lauf des nächsten Tages trudeln nach mehrmaliger Urgenz nun doch die am nötigsten gebrauchten Überflugs- und Landegenehmigungen aus Thailand und Burma ein, allerdings für die Route via Phuket-Rangoon-Calcutta ohne Landung in Rangoon. Das ist uns zum jetzigen Zeitpunkt aber schon alles egal, Hauptsache, wir kommen morgen weg. Nachmittags werden endlich Wiegung und Werkstattflug durchgeführt und die Skyvan von der Werft entlassen.
Der Donnerstag ist letzten Checks, vor allem der Ferry-Tankanlage, gewidmet sowie dem Einkauf von Proviant mit so unterschiedlichen Vorgaben wie "dies oder jenes muß bis Wien reichen, das gibt's sonst nirgends" oder "das Bier darf nur bis Pakistan reichen, dann müssen wir's ins Meer kippen, denn dort ist man scharf auf Alkohol".
Donnerstag abends ab 20 Uhr sitzen alle 5 Mann abflugbereit im Besucherzimmer der Werft, vor deren geschlossenen Rolltoren die Skyvan voll Taten- und Kerosindurst parkt. Nichts hätte uns eigentlich hindern können, sofort "loszugasen", nur Herbert entdeckt noch rechtzeitig bei der letzten Flugberatung, daß der uns zwangsverordnete Flughafen Phuket erst wieder um 7 Uhr morgens Lokalzeit seine Pisten öffnet. Das beschert uns eine Wartezeit bis 3 Uhr früh, in der wir uns in den unbequemsten Stellungen im Raum - weil klimatisiert - verteilen, um ein letztes Nickerchen zu halten. Um halb drei scheucht mein Wecker alles auf: Der Ferryflug kann beginnen.
SINGAPUR - PHUKET
Genau um 1915 UTC (des Donnerstags) heben wir also um viertel vier (des Freitagmorgens) von der Piste 21 des Flugplatzes Singapur-Seletar mit dröhnenden Turbinen ab und verschwinden in der Nacht. Von Singapurs Lichtermeer sehen wir nicht mehr viel, alle Piloten verfolgen gespannt das Abflugverfahren, der Techniker seine (jetzt wohl auch unsere) Spritleitungen. Im Nu haben wir das Festland erreicht, was sich aber für uns nur äußert in VOR- und ADF-Anzeigen und DME-Distanzen. Auf die Frage, wer jetzt eigentlich wirklich die Maschine fliegt, müßte man antworten: Eigentlich Herbert, denn er sitzt links vorne und hält sich am Lenkrad fest, aber in Wirklichkeit fliegen wir sie alle, denn keiner denkt an irgendetwas anderes.
Wir folgen der malaysischen Küste nach Nordwesten. Nicht lange, dann erhellen gewaltige Entladungen das Innere der abgedunkelten Kabine. Ausgerechnet mitten auf unserem Flugweg, vielleicht noch 20 oder 30 Meilen vor uns, toben gewaltige Nachtgewitter. Gerade bevor wir mitten ins Unwetter stechen, überfliegen wir das nächste Funkfeuer, an dem die Luftstraße, der wir zu folgen haben, einen leichten Rechtsknick beschreibt. Haarscharf ziehen wir an dem gewaltigen Kumulonimbus vorbei. Aber was ist das? Schon wieder so ein Ungetüm genau vor uns! Wir ziehen die Karte zu Rate. Könnte es sein, daß ... ?
Und tatsächlich, wieder knickt die Luftstraße rechtzeitig nach rechts. Jetzt atmen wir erleichtert auf. Die Unwetter stehen draußen auf dem Meer aufgefädelt wie Perlen auf einer Schnur. Unsere Route führt jedoch ständig über Land und folgt der gekrümmten Küste. Im ersten Morgenlicht landen wir nach 4 Stunden 15 Minuten Flugzeit auf dem noch wie ausgestorben daliegenden Flughafen der thailändischen Ferieninsel Phuket. Maschine und Besatzung sind wohlauf nach der ersten Nachtetappe.
PHUKET
Niemandem, der einen Teil der zahlreichen Fotos vom Überstellungsflug aufmerksam betrachtet hat, wird entgangen sein, daß die diensthabenden Piloten (und auch die übrigen Besatzungsmitglieder, wie ich euch versichern kann) während des Fluges leger-sportlich in T-Shirts und Jeans der Tropensonne trotzten, während sich dieselbe Crew nach der Landung in adretten Uniformen wie aus dem Ei gepellt präsentierte. Hellblaue Hemden, dunkelblaue Hosen, in Singapur für jeden von uns nach Maß geschneidert, aus erstklassigem Stoff und zu einem Bruchteil der gewohnten Europreise, und Schulterklappen, teils von "echten" Piloten ausgeliehen, teils handgenähte Falsifikate, so heischten wir Respekt und Ehrfurcht von Singapur bis Wien. Weder die fehlenden Krawatten, Mützen und Uniformröcke noch die abenteuerlich-unpassenden Fußbekleidungen von der Sandale bis zum Turnschuh taten der höflichen Bewunderung Abbruch, mit der man uns allerorts (Wien sei hier allerdings ausgenommen) begegnete. Der Hauptmann von Köpenick hätte seine helle Freude an uns gehabt, hätte er uns jeweils kurz vor der Landung und dann wieder unmittelbar nach dem Start beim "Maskenball" beobachten können.
Die freundliche Behandlung, die man uns jetzt hier in Phuket, Thailand, der ersten Station unseres Heimfluges aus Singapur, angedeihen läßt, steigert den nach der ersten Nachtetappe schon sehr großen Optimismus womöglich noch. Die gute Laune, die bei Begleichung der Tankrechnung (öS 2,50,-- pro Liter Kerosin wäre unser Wunschpreis für Europa, wo wir heute ein Vielfaches bezahlen müssen) und der Landegebühr von knapp öS 100,-- aufkommt, wird erst bei der Aufgabe des Flugplans für die nächste Etappe ein wenig gedämpft. Wir erinnern uns ...
PHUKET - RANGOON
Alle Profis hatten uns vor Rangoon gewarnt. Während unseres fast einmonatigen Aufenthaltes in Singapur wurde keine Gelegenheit versäumt, Ferrypiloten in Fachgespräche von Spezialist zu Spezialist zu verwickeln. Ferrypiloten sind große Schweiger vor dem Herrn, wenn sie Konkurrenz wittern. Hatten sie sich aber erst einmal von der Einmaligkeit (in des Wortes doppelter Bedeutung) unseres Vorhabens überzeugen lassen, so quollen sie über vor guten Ratschlägen. Einhellig herrschte jedenfalls die Meinung vor, daß Rangoon zu meiden sei. Man warnte uns, daß ein einfacher Tankstop auf diesem Flughafen im tiefkommunistischen Burma sich über Tage ziehen konnte. Die erfahrensten Ferrypiloten könnten auf Zeiten um die 12 Stunden verweisen.
Leider ist für uns eine Landung in Burma praktisch unvermeidbar, da wir einerseits den Spritverbrauch der Skyvan noch nicht gut genug kennen, um einen Direktflug übers Wasser nach Indien zu wagen, andererseits die erste Überflugs- und Landeerlaubnis für den Alternativlandeplatz Chittagong in Bangladesh inzwischen abgelaufen und eine zweite noch nicht eingetroffen ist. Burma hingegen war eines der ersten Länder, das der Verschiebung unseres Terminplans zugestimmt und alle Genehmigungen erneuert hat. Auf denn frischen Muts ins ungelobte Land!
Der Start in den Morgen auf Phukets endlos langer Piste verläuft reibungslos trotz hoher Rollreibung bei Maximalgewicht und hoher Temperatur. In der Reiseflughöhe von knapp 4000 m herrschen angenehme 18 Grad. Unter uns wird das Straßennetz immer weitmaschiger, der tropische Urwald immer dichter. Die bange Frage wird laut, ob das in optimaler Planerfüllung aus Wien eingeflogene handliche Überlebenspaket mit Schlauchboot für 4 bis 5 Personen, Entsalzungstabletten, Buschmachete und tausend nützlichen Kleinigkeiten auch griffbereit und vor den Folgen einer Notlandung sicher verstaut sei. Nach kurzer ratloser Suche findet sich das Paket - immerhin haben wir Reisegepäck für 5 Leute, alle Ersatzteile, die zu kriegen waren, Werkzeug, 20 (!) Sitze, Proviantkartons und Dosenbier, Uniformen, Reservereifen und schlafende Crewmitglieder allüberall in der Kabine platzsparend verladen und zu guter Letzt auch noch einen Zusatztank mit den Maßen 100 x 100 x 150 cm mittig im Wohnzimmer aufgebaut.
Einerseits beruhigend, so ein Survival Kit. Doch nicht alle denken so. Thomas fragt aggressiv, was es uns helfen sollte. Er malt uns die Situation nach einer Notlandung aus: Die Skyvan verschwindet im Urwald, die Baumkronen schlagen wie eine Bettdecke über dem Eindringling zusammen und nehmen jede Chance, von oben gesehen zu werden - falls uns überhaupt jemand sucht. Die nächste Siedlung ist mehrere hundert Kilometer entfernt. Eigentlich könnten wir uns nur auf die nächsten 30 - 40 Jahre (unbezahlten) Urlaubs im Dschungel einrichten.
Wie er meint. Laut Betriebsanleitung sind fünf Personen im Schlauchboot ohnehin schon fast zu viel ... falls also einer lieber Urlaub machen möchte ...
Inzwischen haben sich die Gewitter vor der Küste aufgelöst, keine Wolke verunziert mehr den Himmel. Seit eineinhalb Stunden sind wir in der Luft, seit 300 km sind keine Straße und kein Haus mehr zu sehen. Nur Dschungel, Dschungel, Dschungel. Wir nähern uns der Grenze von Burma. Hier steht in der Radionavigationskarte vermerkt: "WARNING! NO ENTRY TO BURMA AIRSPACE WITHOUT AIR DEFENSE CLEARANCE!" Nach verzweifeltem Bemühen auf mehr als 20 Frequenzen, mitten in heißen Diskussionen um die Themen Umkehren oder Weiterfliegen gelingt es endlich, Verbindung mit Rangoon herstellen. Und dann folgt endlich auch der Lohn der Angst: "Oscar Echo Foxtrott Delta Lima, you are cleared to enter Burma Territory".
Es folgen weitere zweieinhalb Stunden über Dschungel, übers Meer im Golf von Martaban, dann wieder über Dschungel. Keine Zivilisationsspuren weit und breit. Wir navigieren teilweise nach der Küstenlinie, da die Funkfeuer zu weit voneinander entfernt sind, um in unserer niedrigen Reiseflughöhe empfangen werden zu können. Als Herbert, der vorerst noch links vorne sitzt, "Eine Straße!" meldet, steigt die schon in Zweifel gezogene Wahrscheinlichkeit wieder, daß dies noch der zivilisierte Planet Erde ist. Kurz darauf registrieren wir endlich auch eine DME-Entfernungsanzeige nach Rangoon. Die locker-luftig-leichte Flugbekleidung weicht im Anflug abermals der sachlich-seriösen Bodendress, die Schulterspangen werden nochmals kontrolliert. Links drei, rechts vier goldene Spangen wären vielleicht doch unvorteilhaft aufgefallen. Sinkflug, ILS-Anflug und Landung - reine Routine für Herbert.
RANGOON
Wir rollen mit gemischten Gefühlen auf die Abstellfläche von Rangoon/Mingaladon. Nach dem Auslaufen der Triebwerke öffnet Thomas die vordere Tür, springt hinaus und - ist von einem Moment zum nächsten mit einem Aufschrei im Schatten der Tragfläche verschwunden. Wir anderen sehen uns resignierend an - jetzt hat's ihn total erwischt.
Ich selbst bin das nächste Opfer. Ich habe schon eine Menge erlebt, die Erfahrung, die ich hier mache, ist mir aber gänzlich neu. Wäre ich nackt gewesen, meine Haut hätte sicher ausgesehen wie von lauter kleinen Springbrunnen übersät. Noch nie habe ich so heftig und spontan zu schwitzen begonnen. Der Eintritt aus der mit 20 Grad noch angenehm temperierten Kabine in den burmesischen Luftraum gleicht einem unerlaubten Tiefschlag. 42 Grad und 99 % Luftfeuchtigkeit sind treibhausreif und auch im Schatten kaum zu ertragen. Binnen Sekunden (ohne Übertreibung!) bin ich waschelnaß, Schweißflecken haben keine Zeit, sich auf meinem Hemd auszubreiten, es wechselt quasi übergangslos seinen Aggregatzustand von trocken zu klitschnaß.
Innerhalb kurzer Zeit messen wir im Flugzeug 70 Grad - unaushaltbar, wir wollen nichts wie wieder weg! Wir haben die Aufgaben, die jeder am Boden zu erfüllen hat, schon in der Luft genau verteilt. Benötigt ein guter Ferrypilot 12 Stunden, so sollten fünf gute Leute nicht mehr als 2,4 Stunden brauchen. Trockene Theorie, gewiß. Das einzig trockene jedoch, an das wir uns hier klammern können.
Zuerst die Zoll- und Paßformalitäten. Dazu gehört endloses Ausfüllen der allerorts beliebten "General Declaration". 42 dieser selbst mitgebrachten Formulare werden uns abverlangt! 42-mal schreiben wir nieder, wer wir sind - alle fünf Namen und Paßnummern sowie Kennzeichen und Eigentümer der Maschine sind gefragt -, woher wir kommen, wohin wir wollen, wo wir ins Land eingeflogen sind und wo wir auszufliegen beabsichtigen, 42-mal erklären wir, keine ansteckenden Krankheiten mitzubringen und beschreiben die Details der letzten Desinfizierung des Flugzeugs. Ich habe in Wien, schon einschlägig vorgewarnt, 100 Leerkopien (natürlich noch unausgefüllt) angefertigt. Ob der Vorrat reichen wird?
Wieviel Dollar kostet der Sprit? Oder kann mit Carnet bezahlt werden? Wieviel Geld sollen wir mit von Bord nehmen? Wieviel darf man hier einführen? Denn von Bord genommen heißt eingeführt. Keiner von uns spricht besonders gut Burmesisch, keiner der in schmucke weiße Uniformen gekleideten, mit viel Gold behängten Zöllner perfekt Englisch. Aber mit gutem Willen auf beiden Seiten, mit Händen, Füßen und einem Zeichenblock klappt die Verständigung ganz gut. Man scheint begriffen zu haben, daß wir nur "Fuel and Clearance", Sprit und Freigabe wollen.
Trotzdem: Alle Mann brauchen ein Visum. Anstellen zum Ausfüllen halbverständlicher Fomulare, zum Bezahlen der Visumgebühr, zum Gesichtsbad bei der Einwanderungsbehörde, beim Gesundheitsoffizier und so weiter. Solange wir im klimatisierten Flughafengebäude bleiben dürfen, wollen wir nicht aufsässig sein. Soweit wir es beurteilen können, liegen wir zeitmäßig ganz gut im Rennen. Viel kann denen ja wohl nicht mehr einfallen, das eine oder andere Dutzend Formulare vielleicht noch, hier noch ein paar Dollars, dort nochmal fünf oder zehn Unterschriften. Auch der Tankstellendirektor hat sich nach diskreter Übergabe einer 20-Dollarnote von der Notwendigkeit überzeugen lassen, seine Mittagspause, die sicher bis abends gedauert hätte, zu verschieben. Bezahlt ist alles, Wetterberatung ist eingeholt. Bleibt noch die Hürde mit dem Weiterflug ...
Eine Freigabe für Indien liegt zwar vor, sie bezieht sich allerdings eigentlich auf unsere erste Anfrage. Auf das Ersuchen um Terminverschiebung hatten wir, wie von den meisten Ländern, keine Antwort erhalten. Dafür weisen wir nun mit dem unschuldigsten Lächeln das Telex mit dem lakonischen Text "flight cleared as requested" und einer ellenlangen Freigabenummer vor, haben aber insgeheim Bauchweh davor, daß der Zeitpunkt oder Zeitraum des genehmigten Einflugs in der Freigabenummer verschlüsselt sein könnte. Der Rangooner Türmer, der das Telex checkt, scheint auch seine Zweifel zu haben, denn er telefoniert lang, spricht schnell und laut und aufgeregt. Aber fernöstliche Telefonate klingen alle so. Nach bangen Minuten unterschreibt der Controller unseren Flugplan und entläßt Herbert und mich mit den besten Wünschen. Vielleicht hat er nur mit seiner Frau gesprochen, während uns das Herz immer tiefer sank.
RANGOON - CALCUTTA
Wir sind ready to go! Und das schon eineinhalb Stunden nach der Landung. Auch die Freigabe zum Anlassen der Triebwerke kommt prompt über Funk. Der Schweiß rinnt wieder in Strömen, die Uniformen werden noch am Boden in aller Eile gegen kurze Hosen und nackten Oberkörper getauscht, 70 Grad im Flugzeug, das linke Triebwerk kommt auf Touren, läuft. Batterien nachgeladen, rechten Starterknopf gedrückt. Nichts passiert. Der Versuch wird wiederholt. Keine Reaktion. Das Luder springt nicht an!
Ein Wort mit Sch wird malträtiert. Unfeine Redensarten vergiften die Atmosphäre. Franz Scholz, der in Singapur noch meinte, es sei ja alles in bester Ordnung, er könne nun per Linienflug nach Hause düsen, um die letzten Urlaubstage noch zu retten, hatte Gott sei Dank noch ein eingehendes Gespräch mit Thomas, bevor er sich endgültig entschied. Nun haben wir ihn an Bord und sehen ihm zu, wie er sich, den gerechten Zorn des hinterhältig Enttäuschten versprühend, wieder in die schweißnasse Uniform mit den vier Bordtechnikerstreifen zwängt. Wird er das Problem lösen können?
Er kramt ausgiebig im Werkzeugkasten und schwingt sich dann entschlossen, ob der mörderischen Hitze mit der Grazie eines Elefanten in der Sauna, fluchend auf das Flugzeugdach, wenige Zentimeter am linken laufenden Prop vorbei. Offensichtlich weiß er, wo er aufzuschrauben hat, denn zielstrebig peilt er die rechte Flächenwurzel an, entfernt dort einen Deckel, hantiert in der entstandenen Öffnung und befiehlt nach zwei Minuten gestenreich: Anstarten. Allgemeine Stoßgebete begleiten Herberts Starterdaumen. Währenddessen schließt Franz oben auf der Fläche per Hand einen Stromkreis kurz, Fuelflow, Zündung und der Drehzahlmesser erwachen zum Leben, der angehaltene Atem wird prustend ausgestoßen. Das Triebwerk läuft.
Franz versorgt die offene Wunde an der Flügelnase mit dem Schraubenzieher, nur Zentimeter vom drehenden Propeller entfernt, schwingt sich ungerührt vom Dach in die Kabine, schließt die Türe und stöbert nach den kalten Bieren. Die hat er sich redlich verdient. Herbert rollt, schweißgebadet wie wir alle, zur Runway, gast an und kurvt, kaum in der Luft, ein in Richtung nach Calcutta, wo unser nächster Tankstopp sein soll. 1 Stunde und 59 Minuten am Boden in Rangoon. Rekordverdächtig.
Aber bereits in 300 Metern Höhe erlebt Herbert den nächsten Herzstillstand. Ein Propeller bricht und rast laut jaulend und knatternd durch das Cockpit! Nachdem die Fluglage wieder korrigiert ist, klärt sich die Situation schnell. Der Propeller, der da auf seinem Oberschenkel liegt, hat einen Durchmesser von nur 25 cm und gehörte ehemals zum linken Cockpitventilator. Herbert ist nun selbst ein wenig unrund und verlangt nach Bier, wird aber als "Pilot in command" nur mit Mineralwasser gelabt, bis bei etwa 3000 m die Temperatur im Flieger wieder auf einen menschlichen Wert abgesunken ist.
Inzwischen sind wir über dem offenen Meer, dem Golf von Bengalen, der für seine schweren Stürme und heftigen Unwetter während der Monsunzeit berüchtigten ist. Erfreulicherweise ist trotz Herberts Sorgenfalten zu diesem Thema die Monsunzeit noch weit, blauer Himmel erfreut das Auge, keine Wolke überschattet unser Abenteuer.
Franz hat in der Zwischenzeit den Flüssigkeitsverlust und die daraus resultierende Blutverdickung erfolgreich mit Bierdiät bekämpft und sorgt entsprechend für Stimmung an Bord. Abwechslung tut auch dringend not, denn von Rangoon bis Calcutta gibt es nicht eine einzige "Kurve" zu fliegen. Die Luftstraße A1 führt hier mit einem gleichbleibenden Kurs von 308 mißweisenden Graden fünfhundertvierundfünfzig Nautische Meilen lang phantasielos geradeaus übers Meer. Ideale Bedingungen für die vielen Drei- und Vierstreifenpiloten an Bord, Herbert endlich die Arbeit abzunehmen und 1000 km lang Autopilot zu spielen. Kurs halten, Höhe halten. Basistraining für jedermann. In solch trister Lage sind sicher die vielen Affenwitze entstanden, die es zu jenem Thema gibt.
CALCUTTA
Im Laufe des Nachmittags kommt die Meldung aus dem Ausguck: "Land in Sicht!" Wir überfliegen Land, dann wieder weite Wasserstrecken, wieder Land und wieder Wasser. Eine Inselgruppe? Mitnichten, es ist das Gangesdelta. Über eine Stunde lang fliegen wir über diese eindrucksvolle, schier unglaubliche Wasser-Land-Schaft. Die Funkverständigung ist katastrophal, das indische Englisch ist schwer verständlich, hat man das burmesische noch im Ohr. Der Landeanflug über die Millionenstadt Calcutta in der Abenddämmerung hinterläßt eine beeindruckende Erinnerung.
Nach der Landung rollen wir zur Abstellfläche und werden gleich mit einer Kostprobe der indischen Mentalität konfrontiert. Es tut sich gar nichts. Niemand eilt herbei, unsere Wünsche zu ergründen, niemand bietet seine Dienste an. Erst als wir uns anschicken, zu Fuß über das Vorfeld zu wandern, erscheint Miliz. Man bedeutet uns, auf den Bus zu warten, der uns zum Abfertigungsgebäude bringen würde. Der Fahrer erklärt sich aber erst nach Übergabe von 5 Dollars bereit zu fahren. Und so geht es weiter. Wir haben kein Visum, Erklärungen, daß wir ja keineswegs einreisen, sondern nur tanken wollen, verhallen ungehört. Erst das gedruckte Wort hat hier Gewicht. Vor allem das Wort "Dollar" auf Banknotenpapier.
Wir stehen vor dem längsten Teilstück unserer Reise: Quer über den Indischen Kontinent nach Ahmedabad. Den Plan einer Zwischenlandung in Nagpur, auf etwa halber Strecke, haben wir spätestens fallengelassen, als wir die Bekanntschaft der indischen Seele machten. Zweimal Indien sollte reichen. Die Flugvorbereitung für die vierte Etappe ist längst abgeschlossen und wird noch einmal gegengecheckt, die Skyvan ist betankt und reisefertig. Der Flugplan ist ausgefüllt und wird nun eingereicht. Eine Kopie erhalten wir zurück, dazu die Mitteilung, der Flugplan gelte erst als angenommen, wenn auf der Kopie die Stempeln "Wetterberatung eingeholt", "Landegebühr bezahlt", "Sprit bezahlt", "Einwanderungsbehörde" und "Gesundheitsbehörde" prangten.
Nun beginnt der Spießrutenlauf. Abgesehen von der mühevollen Suche nach all den entsprechenden Personen, die die Stempel bei sich tragen (sie wissen schon, warum), kostet jeder einzelne Stempelabdruck auch seinen Preis. Nach mühsamen Rennereien - wir können die Arbeit nicht teilen, da nur eine Flugplankopie zur Verfügung steht - haben wir nach gut zwei Stunden endlich alle geforderten Stempel eingesammelt. Thomas und Herbert stolzieren in die Flugberatung, um den Flugplan nun vorzulegen. Der unfreundliche Inder hinter dem Pult zuckt nur die Schultern: Der Flugplan sei vor 40 Minuten abgelaufen, eine Verlängerung nicht möglich. Und knöpft den beiden die Kopie ab, die aussieht wie ein Touristen-Wanderausweis nach zwei Wochen im Gebirge.
Ein neues Formular ist schnell gefunden und ausgefüllt. Vorübergehend sind gerade alle Formulare ausgegangen, gegen 10 Dollars findet sich dann doch noch eines. Jetzt fehlten nur mehr die Stempel auf dem neuen Flugplan, meint gutmütig bedauernd unser Gegenüber. Wir glauben, uns verhört zu haben, er bestätigt aber, da führe kein Weg daran vorbei. Also: Neue geplante Abflugzeit in 1 Stunde und wieder auf die Suche nach den Stempelinhabern. Der Inhaber von "Landegebühr bezahlt" kann sich beim besten Willen nicht mehr erinnern, daß wir schon bezahlt hätten, nach zeitraubenden Diskussionen einigt man sich auf die halbe Landegebühr - immerhin auch noch 65 Dollar - ohne Rechnung. Gerade noch rechtzeitig wieder im AIS, wird der Plan nun anstandslos akzeptiert, nachdem alle Beteiligten ihren Schnitt machen durften, und wir erhalten Starterlaubnis.
Um 16:30 GMT, 22 Uhr Lokal, nach 3 1/2 Stunden Vollbeschäftigung für fünf Personen, hebt die Skyvan, knapp 3000 Liter Sprit im Bauch, schwerfällig von Calcuttas 3627 m langer Piste ab.
CALCUTTA - AHMEDABAD
Aus den Karten wissen wir, daß wir auf der Strecke einige Zeit lang ohne Funkfeuer werden auskommen müssen, da deren Entfernung untereinander in unserer vorgesehenen Flughöhe keinen kontinuierlichen Empfang gewährleistet. Dennoch sind wir überrascht, daß bereits 30 Minuten nach dem Start alle Navigationsinstrumente sich in Ruhestellung begeben. Alles Schalten und Probieren bringt keinen Erfolg. Rückfragen bei Calcutta Tower bleiben unbeantwortet, ebenso Anrufe mit dem Kurzwellengerät, dessen Reichweite praktisch unbegrenzt ist. Wir sind ein wenig ratlos. Umdrehen? Weiterfliegen, acht oder neun Stunden ohne Navigationshilfe bei Nacht über Indien? Ohne Funkfeuer würden wir den Zielflugplatz nie finden.
Noch mehrmals versuchen wir, Funkverbindung aufzunehmen. Endlich ein Knacken im Kopfhörer, eine Swissair meldet sich, fragt freundlich nach unserem Kennzeichen und ob uns zu helfen sei. Wir schildern unsere Situation. Der Schweizer berichtet, er sei unterwegs nach Bangkok, und es sei durchaus normal, daß in Indien während der Nacht die Funkfeuer und Funkgeräte abgeschaltet würden und die Fluglotsen schlafen gingen. Umkehren wäre sinnlos, da auch in Calcutta alles abgeschaltet wäre. Am Morgen funktioniere aber üblicherweise wieder alles. Wir bedanken uns, wünschen gute Reise und fliegen voll neuerwachter Hoffnung in die dunkle, licht- und zeigerlose Nacht.
Unser Kapitän stellt fest, daß er reichlich müde ist. Thomas müßte es eigentlich schaffen, einige Stunden lang Höhe und Richtung zu halten. Bei Auftreten irgendwelcher Unregelmäßigkeiten wie totalen Orientierungsverlustes oder kurz bevorstehenden Absturzes solle man ihn wecken. Herbert räumt die Kommandobrücke und sucht sich auf den Zusatztanks einen Platz für seinen Schlafsack. Bald wird es gemütlich ruhig im Flieger, alle bis aufThomas schlafen. Herbert wälzt sich unruhig auf der Tankanlage, sei es aus Pflichtgefühl, sei es den Nachwirkungen der schwülen Hitze in Burma oder den mühsamen Indern in Calcutta oder einfach dem harten Lager zuzuschreiben.
Das präzise Fliegen strengt ziemlich an. Nur wenige Grade in die falsche Richtung bedeuten nach sieben oder acht Flugstunden eine um Dutzende Kilometer falsche Position - dabei bleibt ohnedies zu hoffen, daß der Wind sich während der Nacht nicht dreht, damit der in der ersten halben Stunde vor Ausschaltung des Funkfeuers Calcutta erflogene Luvwinkel seine Gültigkeit behält. Nach wenigen Stunden überkommt auch Thomas die Müdigkeit. Es ist aber nicht daran zu denken, einfach aufzustehen, nach hinten zu gehen und die Ablöse zu wecken. Der Autopilot glänzt (bis heute) durch Abwesenheit. Also funktioniert Thomas ein wertvolles Flughandbuch zum Wecker um, indem er es mit gezieltem Wurf auf Burlis Brust plaziert. Der derart rüde aus seinen Träumen geholte Walter sieht kein Problem, jetzt zu übernehmen - sein 10-jähriges Training als Fernfahrer macht sich bezahlt. Thomas sitzt mehr schlafend als wachend daneben, wirft von Zeit zu Zeit einen einäugigen Blick auf Richtung und Höhe und widmet sich ansonsten nur der Aufgabe, den immer wieder auf die Brust sinkenden Kopf vor Zusammenstößen mit harten Gegenständen zu bewahren.
Im ersten Morgengrauen streckt so mancher Zeiger gähnend seine Glieder, um gleich wieder einzuschlafen und noch ein paar Minuten zu dösen. Bald jedoch wird ein Gerät nach dem anderen endgültig munter, sogar eine Peilung zur Positionsbestimmung wird möglich. Tatsächlich waren wir währende der ganzen Nacht um weniger als 50 Meilen von unserem Sollkurs abgewichen. Das ist zufriedenstellend.
Noch etwa eine Stunde trennt uns von Ahmedabad, noch aber gibt es keine Funkverbindung. Vor Beginn des Sinkfluges weckt Thomas unseren Käpt'n, der sich leider nicht ganz gesund fühlt, und Autopilot Burli wird entlassen. Der ist ganz froh und braucht nur 5 Sekunden um einzuschlafen. Inzwischen hat irgendein Guru auch das Anflugfunkfeuer von Ahmedabad eingeschaltet. Wir folgen der offiziellen Anflugprozedur, obzwar der Funkkontakt noch immer fehlt. Der Beschluß wird gefaßt, notfalls auch ohne Funk zu landen. Eine leichte Entscheidung angesichts mangelnder Alternativen. Der Flugplatz kommt nach einer ausgiebigen Stadtumrundung in Sicht, weder sind jedoch die Anflugfeuer eingeschaltet noch ist irgend ein Zeichen von Aktivität erkennbar. Ganz zuletzt gibt das Funkgerät einige quäkende Töne von sich, es bleibt aber dahingestellt, ob wir damit gemeint sind. Schließlich landet Herbert die Skyvan samt Mannschaft beherzt auf dem offensichtlich geschlossenen oder aufgelassenen Flugplatz von Ahmedabad.
AHMEDABAD
Flugplatz Ahmedabad, westliches Indien, Abstellfläche. Nichts regt sich, nichts bewegt sich, mit dem Auslaufen der Turbinenschaufeln verklingen die letzten Geräusche. Halt, da war doch was! Ach nein, es ist nur Walter, der leise schnarcht. Am fernen Horizont schiebt sich eine gelbe, milchige Scheibe, auch nicht gerade mit dem Schwung des jungen Morgens, über endloser Ebene höher. Es ist 5 Uhr 15 Lokalzeit.
Wir stehen in der Nähe des "Old Terminal", einer Ansammlung heruntergekommener ebenerdiger Ziegelbauten, unfern des Kontrollturms, der den ehemals ostdeutschen Grenztürmen zum Verwechseln ähnlich sieht. Das "New Terminal", schon ein wenig repräsentativer, liegt etwa 500 m nordöstlich und ist unbeschriftet. Sind wir wirklich in Ahmedabad?
Alle wachen Crewmitglieder haben die Maschine verlassen und beobachten die ersten Flugbewegungen: Zwei kakadu-ähnliche Vögel scheinen sich zu zanken. Als sich von uns einer nach dem anderen aus gewissen Gründen in die Büsche schlägt, erscheinen mit interessiertem Gesichtsausdruck zwei kurzhaarige Hunde, wenig später beginnen Scharen von Liliputhühnern das friedliche Bild zu bevölkern. Schon Marco Polo erkannte die Bedeutung von Hunden und Hühnern: Irgendwo, nicht allzu weit entfernt, muß es lebendige menschliche Wesen geben, vielleicht sogar eine richtige Ansiedlung inmitten der Unendlichkeit. Thomas, mittlerweile wieder soweit erholt, wird als Späher ausgeschickt.
Nachdem er die nächsten Gebäude durchsucht, aber niemanden gefunden hat, beschließt er, dem Turm einen Besuch abzustatten. Unheimlich ist ihm gleich, daß alle Türen unverschlossen sind. Auch die Eingangstür ins Allerheiligste Elektronikum ist unversperrt, läßt sich aber trotzdem nur schwer öffnen. Der durchaus elastische Widerstand grunzt ungehalten. Dahinter Schnarchgeräusche. Die "Controller" sind zwanglos am Boden verteilt, drei oder vier weitere, offensichtlich Hilfspersonal im Bereitschaftsdienst, Alarmabteilung oder Feuerwehr, haben gar - zivilisatorischer Luxus - Matten ausgebreitet. Von den rund 15 Telefonapparaten, die halbkreisförmig vor den großflächigen Scheiben angeordnet sind, sind alle Hörer abgenommen, liegen daneben oder baumeln an den Kabeln von der Arbeitsfläche. Tiefer Friede auch hier am ahmedabadischen Flugolymp.
Nach einem lauten "Guten Morgen" in gut österreichischem Dialekt kommt Bewegung in die Szene. Noch nimmt man die Anwesenheit eines Fremden unwillig, aber ob der Unvermeidlichkeit doch wenigstens zur Kenntnis. Einer nach dem anderen packt seine Siebensachen schweigsam und klettert die eiserne Treppe hinab. Bevor sich der Turm auf diese Weise zur Gänze leert, nimmt Thomas einen der am kompetentesten aussehenden, weil vollständig mit Hemd und Hose bekleideten Beamten aufs Korn und verwickelt ihn in ein kurzes, klärendes Gespräch. Es sei Landessitte, so wird ihm beschieden, daß jetzt Nacht sei. In der Nacht jedoch solle man schlafen, und wir sollten bitte erst in ein, zwei Stunden landen. Bloß, weil wir schon da seien, würde man die Landessitten auch nicht ändern. Der Türmer schließt mit tröstenden Worten die Türe und legt sich (vermutlich) wieder nieder.
Thomas erstattet uns anderen ausführlich Bericht. Nach kurzer Beratung beschließen wir, aus der Situation das Beste zu machen, auch etwas zu schlafen und danach so zu tun, als ob wir gerade gelandet wären. Wir zollen den Landessitten Respekt und Tribut, indem wir erst gegen halb acht, also rund zwei Stunden später, uns zum nächsten Versuch aufmachen. Noch während wir ruhen, erscheint auch ein Unterzöllner, der den rosa Elefanten ungläubig bestaunt und solange mit abschirmender Hand durch ein Fenster nach dem anderen glotzt, bis wir wegen der sich dauernd verändernden Lichtverhältnisse glauben, eine ganze Armee stünde draußen rund um den Flieger gruppiert. Erst als ich den vorderen Einstieg öffne und verkünde "Es ist nur einer!", verstummt das beunruhigte Geflüster in der Kabine.
Der kleingewachsene Inder ist nur mit Shorts und "Ruderleibchen" bekleidet, grüßt freundlich in gutem Englisch und ist die personifizierte Neugier. Ich muß ihn in die Kabine klettern lassen, ihm die Tanks erklären, ihn bitten, leise zu sein, um die schlafenden Offiziere nicht zu wecken und werde ihn erst los, nachdem ich ihn mit Marlboro aus Singapur beschenkt und ihm entschuldigend bedauernd bedeutet habe, er könne wegen der Feuersgefahr nur draußen rauchen. Er kündigt seinen Chef für acht Uhr morgens an und verzieht sich, glücklich paffend. Er wird den Flieger bis zu unserem Abflug nicht mehr aus den Augen lassen und zum Lohn für seine Beharrlichkeit an allen "Verteilungsaktionen" seinen Anteil haben.
Im zweiten Anlauf erhalten wir nun tatsächlich brauchbare Antworten auf unsere Fragen, erhalten eingehende Einweisung in die zu erfüllenden Formalitäten und beginnen schon einmal vorsorglich mit dem Ausfüllen der "General Declarations", die wir ja in einer Hundertschaft aus Wien mitgebracht haben, und die uns jetzt leider bald auszugehen drohen. Mit Calcutta ist in der Formularwirtschaft keinerlei Ähnlichkeit festzustellen, obwohl wir uns noch immer im gleichen Land befinden. Die Papiere sind in den abenteuerlichsten Formaten von 20 mal 50 bis 10 mal 10 cm gehalten, manchen sieht man an, daß sie offensichtlich schon mehrmals als Jausenunterlage verwendet worden sind, die Aufdrucke sind die wohl tausendste Kopie eines mit jeder Menge von Tippfehlern auf Schreibmaschine geschriebenen längst feierlich eingeäscherten Originals, Fragen in lateinischer Schrift wechseln mit solchen in indischen Schriftzeichen, die wir dann immer mit der Passport Number beantworten.
Alle Mann sitzen in einem Raum, der mit wohl ehemals britischen Schreibtischen vollgerammelt ist, an verschiedenen Tischen. Als der Oberoffizial die Zeit für gekommen hält, sammelt er ungeachtet der Proteste die "Schularbeiten" ein, stapelt sie so sorgfältig, wie es wegen der unterschiedlichen Papiergrößen möglich ist, und - wirft sie ungelesen mit geringschätziger Gebärde in einen großen Papiersack, den wir für den Abfalleimer gehalten haben. Dann zählt er uns die Stempel, beginnend bei bezahlter Landegebühr über Gesundheitsbehörde, Zoll- und Paßkontrolle bis bezahlter Tankrechnung auf, die nun zu sammeln seien. Tanken könne man ab halb neun, aber jedenfalls erst, wenn der Tankwagen flottgemacht sei, die Gesundheitsbehörde sei er selbst, als Health Officer aber erst ab neun im Dienst. Hätten wir alles beisammen, könne man den Flugplan einreichen.
Ich, Gerhard, werde abgestellt, die Bemühungen um den Tankwagen zu verfolgen, das Tanken zu beaufsichtigen und zu bezahlen, Thomas verhandelt mit dem Gesundheits-Zöllner und veranstaltet Führungen mit ihm und seinen Getreuen durch die Maschine, Franz und Herbert kümmern sich um die Paßkontrolle und haben ein wachsames Auge auf unser Hab und Gut, das das Interesse einer sichtlich zunehmenden Menge von Neugierigen erweckt, und Burli schläft noch seinen wohlverdienten Schlaf. Er hat heute Nacht wohl am längsten am Steuer gesessen, während etwa ich 918 Meilen Indien verschlafen habe. Erst als Nachfrage nach Uhren, vornehmlich Rolex, aufzukommen beginnt, muß er geweckt werden, da die Freundschaftsgaben, auf mehrere Säckchen aufgeteilt, unter seinem Schlafsack verborgen sind.
Der Landegebühr-Stempel ist zu unser aller Erstaunen durch einfaches Bezahlen einer relativ christlichen Landegebühr zu erhalten. Die Konferenz mit dem Health Officer ist eher mühsam. Wir sollen zuerst einmal acht Stunden auf den Arzt warten, der uns eingehend zu untersuchen und das Flugzeug zu desinfizieren habe (nachdem sich halb Ahmedabad einschließlich der Gesundheitsbehörde während der gut besuchten Besichtigungsrunden schon angesteckt haben müßte). Beide Seiten wissen, daß es aber eigentlich nur darum geht, einen vernünftigen Preis auszuhandeln, den jeder ohne Gesichtsverlust akzeptieren kann. Thomas ist nicht unvorbereitet und hat seine neue goldene King Rolex (Singapurpreis 12 US-Dollar) angelegt und fuchtelt solange vor dem Gesicht des alten Habichts herum, bis er ausreichend Aufmerksamkeit erweckt hat. Nun ist es nur noch eine Frage der Menge, die zur Verteilung gelangen soll, und des Aufpreises für den Chef persönlich, der sich von der Masse der Unterläufer natürlich seinem Rang entsprechend abheben muß, bis wir den Beweis der körperlichen und geistigen Gesundheit offiziell bescheinigt erhalten.
Als der Preis feststeht und bezahlt ist, wehrt sich der multifunktionale Zollchef dann allerdings entschieden gegen weitere Freundschaftsbeweise, mit denen wir die Abfertigung weiter zu beschleunigen trachten. Er formuliert es so: " Indien existiert seit vielen tausend Jahren und wird noch weitere viele tausend Jahre existieren, daher haben wir Zeit genug, alles mit der gebotenen Gründlichkeit zu erledigen".
Nebenher überprüfen wir unsere Verpflegungsvorräte und sind über den Iststand zufrieden. Offensichtlich haben wir gut geplant. Lediglich über den Bestand an alkoholischen Getränken machen wir uns Sorgen. Nicht um's Zuwenig geht's, sondern um's Zuviel. Jeder von uns hat während des Fluges für längere Zeit den Kutscher gespielt, jeder war jederzeit bereit, den anderen abzulösen. Entsprechend war das Bierlager ziemlich unberührt, der Orangensaft hingegen zur Mangelware geworden. An sich nichts Schlechtes, unter den besonderen Umständen aber vielleicht nicht ungefährlich. Der Weiterflug soll uns nun in arabische, mohammedanische Länder führen, mitgeführter Alkohol könnte uns da wohl die größten Schwierigkeiten machen. Der Beschluß liegt nahe, die Tankwarte mitsamt ihrem Wagen mit Bier zum Flugzeug zu locken. Gesagt, getan, es funktioniert! Die Tankwagenbesatzung erscheint binnen Minuten, zahlreich wie wohl nie zuvor, und füllt, vom Alkohol beschwingt, mit voller Pumpenleistung unsere Tanks. Ein überlaufender Zusatztank beschert uns dann leider bis Wien eine üble Geruchsbelästigung. In besondere Mitleidenschaft wurden unsere beiden Gemeinschaftsschlafsäcke gezogen, aber wer müde ist, schläft auch im Kerosinbad tief und traumlos.
Mit den gestempelten "Dokumenten" in der Hand steigen nun Herbert und Thomas - es ist inzwischen neun Uhr morgens - wieder zum Turm hinauf. Die Telefonhörer liegen und hängen noch immer so wie am frühen Morgen, was Herbert zur Frage veranlaßt, ob unser Flugplan aus Calcutta hier eigentlich angekommen sei, und wie der neue nach Karachi weitergeleitet würde. Die Antwort läßt ihn im Ungewissen, vielleicht hat man die Frage nicht verstanden. Das Flugplanformular wird ausgefüllt, vorsichtig wird nach weiteren Prozeduren für den Weiterflug gefragt. Das kann ja wohl nicht alles sein, denken die beiden.
Der Controller, der nebenbei erzählt, er sei schon gegen Pakistan im Feld gestanden, und das Verhältnis mit dem Nachbarn sei unverändert schlecht, telefoniert dennoch ohne Zögern von einem der zahlreichen Apparate mit Karachi, dann akzeptiert er anstandslos den Flugplan und verabschiedet sich wort- und gestenreich. Warum er die beiden schmuck uniformierten Kapitäne gar so ungern gehen ließ, stellt sich wenig später heraus. Anstelle der Freigabe zum Anlassen der Triebwerke kommt der Controller nochmals persönlich gelaufen, wild gestikulierend. Er hätte auch noch gerne so eine wonderful Rolex, wie seine Freunde sie tragen, dann könne er uns unverzüglich alle Freigaben erteilen. Lachend überreiche ich ihm eins der letzten Exemplare - 20 Stück hatten wir zum Zweck der Völkerverständigung in Singapur erhandelt - und unserem Abflug steht tatsächlich nichts mehr im Wege.
AHMEDABAD - KARACHI
Die geplante Flugzeit nach Karachi/Pakistan beträgt drei Stunden, vergleichsweise ein Katzensprung. Dieser Flug jedoch soll - aus Gewissensgründen - der schlimmste Teil unserer Reise werden. Gleich nach dem Abflug beginnt wieder die Diskussion um das Bier und die Flasche Whisky, die wir aus medizinischen Gründen mitgenommen haben. Der Biervorrat ist sichtbar geschrumpft, beträgt aber immer noch an die 50 Dosen. Einer meint, er sehe kein Problem, denn diese Menge könne man im Flugzeug gut verstecken. Dagegen wenden sich sofort alle anderen, die sich ausmalen, wie Herbert als Käpt'n im Falle des Erwischtwerdens sicher die Hand, ein Fuß oder sonstwas abgehackt würde, oder wie man das Flugzeug beschlagnahmen werde, eins so grauenvoll wie das andere. Die einzig mögliche Folgerung: das Bier muß weg.
Die Mehrheit ist für den Weg durch die Kehle! ... Aber 50 Dosen Bier und eine Flasche Whisky für vier Personen (mindestens einer - schnell einigt man sich auf Herbert, den verantwortlichen Luftfahrzeugführer - muß ja nüchtern bleiben), und das alles in drei Stunden? Verständlich, daß Herbert als erster den Vorschlag macht, die Ladung ins Meer zu werfen. Es riecht nach Meuterei.
Irgendeiner meint, da werde vorher der Käpt'n abgeworfen. Langsam nur beruhigen sich die Gemüter, Herberts Idee wird als einzig realistische erkannt. Die Mannschaftsmoral ist am absoluten Tiefpunkt. Keiner kann sich überwinden und zur Tat schreiten, bis Herbert den Befehl an Franz erteilt, die hintere Luke zu öffnen und die Dosen, dem späteren Verwendungszweck des Flugzeugs angemessen, stilgerecht "abzusetzen". Tief bestürzt werden wir Zeuge, wie Franz kartonweise das wichtige Grundnahrungsmittel vernichtet. Jeder außer Herbert nimmt noch einen Schluck aus der Whiskyflasche, um die aufkommende Übelkeit zu bekämpfen, dann geht auch sie über Bord, den Haifischen zur Labung und Erbauung. Nach fast 2 Minuten Freifallzeit verschwindet das kostbare Gut im Meer.
Der Weiterflug ist von schlechter Stimmung an Bord geprägt. Radarführung im Anflug erleichtert dem Piloten die Arbeit im wolkenlosen, aber sehr dunstigen Himmel über Karachi.
KARACHI
Auf diesem großen, sehr betriebsamen Flughafen erhalten wir erstmals auch ein Service wie die Großen. Kein Bakschisch, eine Atmosphäre wie in Mitteleuropa, Duschen werden uns angeboten, die wir nach mittlerweile zwei Tagen auf engstem Raum auch schon dringend nötig haben, nicht zuletzt ob der Kerosindusche in Ahmedabad. Nach Betankung und Bezahlung der allerdings horrenden Landegebühr von 700 US-Dollar (damaliger Kurs etwa öS 17,-- oder DM 2,50) geben wir den Flugplan auf. Der schriftliche Hinweis "Engine on before time 0900 Z" auf unserem Flugplanexemplar ("Triebwerk muß laufen vor 14 Uhr Lokalzeit", da sonst auch noch Abstellgebühr fällig wird) läßt uns noch mehr Eile als sonst geboten erscheinen. Mit Trauer im Herzen, weil es kein Mensch für nötig befunden hat, uns nach Alkohol zu durchsuchen oder auch nur danach zu befragen, starten wir kurz vor 14 Uhr von Karachis Piste 25 Links in den milchigen Sonnenschein von Pakistan.
KARACHI - DUBAI
Ziel der nächsten Fünfeinhalbstundenetappe ist Dubai am Persischen Golf. Das Festland der Islamic Republic of Pakistan liegt bald hinter uns, nach einigem Verwirrspiel mit Luftstraßeneinbahnen über dem offenen Meer folgen wir wieder der vertrauten Route Alpha 1, die wenige Meilen südlich der Küste Pakistans und später des Iran ziemlich genau in Ost-West-Richtung geradewegs nach Dubai führt. Die Küste bleibt immer in Sichtweite, selten führt der Flug auch über schmale Halbinseln, bevorzugte Standorte von Funkfeuern, Gelb und Grau sind die vorherrschenden Farben. Wüste, unbelebt, unbewohnt. Erst als die Augen sich auf diese Landschaft eingestellt haben, identifizieren wir hier und dort menschliche Behausungen, gelb und grau wie die Umgebung, nur an den geradlinigen Schatten erkennbar. Auch zwei Wüstenflugplätze und eine Fahrzeugkarawane können ausgemacht werden.
Der Landschaftsstreifen fasziniert uns. Als wir wissen, daß wir jetzt die Grenze zum (damals) kriegsführenden Iran überfliegen, läßt nicht das geringste Bodenmerkmal dies erkennen. Die Wüste ist hier grenzenlos. Teheran Control ist so freundlich und unpersönlich wie jede andere Bodenstation, nur das Englisch ist wesentlich besser. Wir navigieren besonders exakt und geben laufend unsere Position und friedlichen Absichten bekannt.
Nach dem ersten Funkkontakt mit Dubai Anflugkontrolle fühlen wir uns schon fast zu Hause. Ein perfekt englischsprechender Controller führt uns freundlich und gekonnt per Radar. Erst zehn Minuten vor der Landung überfliegen wir wieder menschliche Siedlungen - zuerst eine Luxussiedlung mit respektablen Villen und riesigen, hellblau leuchtenden Swimmingpools, dann wieder Wüste, später ein Geviert, vielleicht 2 x 2 km groß, aus schachbrettartig angelegten Straßen. Nur Straßen und maximal drei oder vier Häusern, wie verloren weit voneinander entfernt an zufällig wirkenden Straßenecken, mit Schwimmbad und grüner Gartenoase. Hier entsteht wohl erst ein "Laubenviertel". Wieder Wüste und dann die Runway - Straight In Approach (Direktanflug).
Während des kilometerlangen Rollens zur Parkposition albert die gesamte Mannschaft gutgelaunt, ein Scherzchen jagt den nächsten. Keiner will sich anmerken lassen, daß unsere Herzen in den Hosen sitzen. Wir erwarten jede Menge Schwierigkeiten.
DUBAI
Dubai International - 29.3.86, 13.30 Uhr GMT - 17.30 Uhr Lokalzeit. Die Pink Skyvan ist soeben gelandet. Schon beim Rollen zur Parkposition erhalten wir einen Eindruck von der beachtlichen Größe der Flughafenanlagen. Maschinen vorwiegend der oberen und obersten Größenkategorie bevölkern die Abstellplätze. Dem rosa Zwerg weist man einen Platz am Ende einer langen Reihe von Interkontinentalriesen zu, nahe dem Ankunftsterminal gelegen. Drei Parkplätze weiter ragt der B747-Jumbo des Scheichs von Dubai in den stahlblauen Himmel ...
Bald umringen uns Bodenfahrzeuge jeder Art. Dubai Tower hat dafür gesorgt, daß auch dem kleinsten Staplerfahrer die Ankunft eines sagenhaften pinken Zirkusfliegers nicht verborgen blieb. Staunen, Lachen, Interesse und Fragen über Fragen. Das Auftanken ist schnell organisiert, Franz Scholz wird solange an der Maschine bleiben, während wir anderen mit langsam voller werdenden Hosen und eingezogenen Köpfen zum AIS (Aeronautical Information Service, Fluginformationsdienst) pilgern. Wir ahnen, was uns erwartet.
In der Flugberatung ist man freundlich und hilfsbereit, schüttelt aber bedauernd die Köpfe, als wir die bange Frage vortragen, ob die Überflugs- und Landegenehmigungen aus Saudiarabien und Syrien schon eingetroffen seien. Nein, man habe nichts darüber vernommen. Wir sollten uns doch an ATC, die Flugverkehrskontrollstelle, direkt wenden. Den Controllern dort lägen vielleicht schon Informationen vor, für die die Beratungsstelle gar nicht kompetent sei.
Wir suchen und finden die Radarkontrollstelle nach mehrmaligem Anlauf im Hintergrund einer Baustelle und sagen wieder unser Sprüchlein her. Ein Ire oder Schotte, der hier Dienst tut, wendet uns seine ungeteilte Aufmerksamkeit zu und hört sich unsere Geschichte mit ernster Miene an. Er braucht nicht erst zu antworten, wir können es an seiner ganzen Haltung lesen: Auch hier liegen keine Freigaben vor. Er leidet sichtlich mit uns wie der letzte Besucher am Krankenbett des hoffnungslosen Falles und spendet tröstliche Worte. Sein Antlitz erhellt sich erst dann eine Spur, als er erfährt, daß wir alle Genehmigungen schon einmal in der Tasche hatten - allerdings für den 11. März, und heute ist der 29.
Wir haben noch von Singapur aus die neuen Termine mit Bitte um Verschiebung der Freigabezeiten nach Jeddah und Damaskus getelext, haben den österreichischen Botschafter in Saudiarabien in einem seitenlangen Fernschreiben um seine Mithilfe ersucht (die er uns, nochmals vielen Dank, auch wirklich angedeihen ließ, denn am 3. April erhielten wir in Wien die gekabelte frohe Botschaft, man habe ihm nach Intervention am 31.3. in Jeddah bestätigt, daß alle Freigaben erteilt seien), haben alle Zwischenstationen unserer Reise als Anschreibpunkte aufgeführt, nirgendwo aber positiven Bescheid erhalten. Na immerhin - schon einmal, und damals sogar problemlos, gestattete Überflüge und Landungen sollten doch wohl einen Präzedenzfall darstellen. Unser ATC-Controller verspricht uns, die Kontakte herzustellen - via internen Draht, versteht sich. In zwei Stunden sollten wir nochmals nachfragen.
Thomas in seiner bezaubernd direkten Art fragt noch der Vollständigkeit halber, ob wir den Flug nicht einfach probieren sollten, um mit den alten Freigabenummern unser Glück zu versuchen. Die Miene des Bedauerns weicht dem Ausdruck mitleidiger Bestürzung. Er könne das nicht guten Gewissens empfehlen, meint unser neuer Freund, die Saudis seien sehr sensibel und würden uns sicherheitshalber erst mal abschießen. Selbst nach Abzug von 50 % wegen mutmaßlicher Übertreibung bleibt das Ergebnis ernst genug. Erzwungene Landung, Beschlagnahme und Festnahme der Besatzung wäre auch keine brauchbare Alternative. Wo es doch sicher kein Bier in arabischen Gefängnissen gibt ...
DUBAI: ZWANGSRAST
Wir bescheiden uns also vorerst mit dem Erreichten, rüsten aber schon geistig für die nächste Hürde. Sollte die ATC-Intervention erfolglos verlaufen, so bliebe uns wohl nichts anderes übrig, als für unbestimmte Zeit in Dubai einzureisen. Was jedoch nicht so einfach geht, wie wir verwöhnte Mitteleuropäer es von zu Hause her gewohnt sind. Dubai vergibt keine Touristenvisa, du kannst dort nur einreisen, wenn du in offiziellem Auftrag im Lande zu arbeiten hast, oder wenn du von einem Bürger Dubais schriftlich eingeladen wurdest. Zum Arbeiten wär's uns hier zu heiß, auch eingeladen hat uns leider keiner. Wir befinden uns auch nicht im Linienflug, wo für Besatzungen spezielle Regelungen gelten, sondern sind in jeder Hinsicht ein Sonderfall. Na, erst mal abwarten.
Zur vereinbarten Zeit melden wir uns, alles erhoffend, aber auch auf alles gefaßt, wieder bei ATC. Die Hoffnungen sind bald zerschlagen, übrig bleibt unser Ringen um Fassung. Die Ersuchen seien raus, Antworten noch keine da. Bis morgen sei auch kaum mit Ergebnissen zu rechnen. Ohne daß jemand gewagt hätte, Unkenrufe in dieser Richtung lautwerden zu lassen, war uns das eigentlich schon vorher klar gewesen: In Jeddah ist es mittlerweile 21.30 Uhr, in Damaskus noch eine Stunde später, und schließlich entscheidet über Heil oder Unheil im Luftverkehr, gar über den Einflug eines Luftfahrzeugs einer fremden Macht, dessen Verwendungszweck ungewiß und dessen Absichten mindestens zweifelhaft sind, in einer permanenten Krisenregion wie dem arabischen Raum sicher nicht Abdul Hinz oder Achmed Kunz. Wenigstens zwei oder drei Ministerien und wohl auch die Streitkräfte werden ihre Einwilligung zu geben haben. Jetzt haben wir den Scherben auf, wie der Wiener in solchen Situationen zu sagen pflegt.
Unterschiedlich gebraucht, je nach konsumiertem Schlafvolumen, trotten wir zum Arrival-Eingang. Eben ist ein Jumbo aus Paris gelandet, der Warteraum voll mit Passagieren, Handgepäck und quengelnden Kindern, alle 150 oder 200 Mann (und Frau) bereit zum Sturm auf die Basare - ultramoderne Ladenketten im Inneren des Transitraums, eingerichtet ausschließlich für Durchreisende, gefüllt mit Elektronik, Uhren, Gold, Juwelen, Foto-, Film- und Videoequipments - gehobene Preisklasse, selbst Ramsch kaum unter 200 US$ zu haben, für Europäer aber das El Dorado, ein Sanatorium der Einkaufswut, denn in Europa zahlt man wohl das Doppelte.
An engen Schleusen wird der Transitstrom kanalisiert, werden Bordkarten kontrolliert, das Gepäck durchleuchtet. Hl. Hans Portner, hl. Thomas Dörner, wir danken euch für den Tip mit den Uniformen und den Crew Cards! Diese in einer Nachmittagsaktion zusammengebastelten, in Plastik eingeschweißten, offiziell aussehenden Identitätsausweise im Scheckkartenformat, auf denen die Fluglinie "Burli Air" unsere wichtigen Funktionen - Captain, First and Second Officer, Chief Engineer, Radio and Navigation Officer - eindrucksvoll bestätigt, öffnen manche Tür und beseitigen manchen Zweifel. (Auch mein Bobtailrüde Bobby trug jahrelang einen solchen Ausweis als Security Officer, bevor er in die wohlverdiente Pension entlassen wurde. Seine Position wurde nicht nachbesetzt.)
In schwungvollem Bogen umrunden wir das Chaos, streben dem "No entrance, except crews only" (Eingang nur für Besatzungsmitglieder) zu, zücken unsere Ausweiskärtchen, die uns als Angehörige einer Airline zu erkennen geben, und überrumpeln den mißtrauisch äugenden Leintuch-Zerberus - ohne Dienstmützen und unvollständig rasiert sehen wir doch wohl sehr verwegen aus -, der sich ohne viel Gegenwehr ergibt, und stürmen den Transitraum zusammen mit den ersten Paris-Fernost-Zwischenstoppern. Trotz des kleinen Erfolgs haben wir aber außer Zeit noch nichts gewonnen ...
Wir stellen uns der Einwanderungsbehörde, erklären zum abermalten Male unsere Lage. Der unpersönliche Schalter mit der großen Glasscheibe und dem kleinen Sprechloch erinnert an Besuchstag im Knast (aus einschlägigen Filmen geläufig) und erleichtert die Kommunikation nicht gerade. Man beraubt uns vorerst einmal unserer Pässe, heißt uns alles mögliche beantragen und läßt uns dann warten, warten ... Ob wir schon wüßten, wo wir wohnen würden, erklingt nach einer Stunde die Zwischenfrage. Nein, herrgottnochmal. Und wieder warten, warten ...
Keiner von uns hat noch richtig Lust zu reden, ich habe vom wenigen Trinken, gar keinem Essen und vielem Rauchen - nach zweieinhalb abstinenten Jahren habe ich in der nervenzerfetzenden Atmosphäre von Singapur das Laster wieder aufgenommen - einen schrecklich pelzigen Geschmack auf der Zunge, und den anderen geht's, ob Raucher oder nicht, nicht viel anders. Unsere Uniformen werden - nomen est omen - immer unförmiger, abgewohnter, Schweißflecken zerrinnen zu poppigen Mustern, Bärte sprießen aus den faltigen Gesichtern, wir fühlen uns alt und müde. Wie in einer - architektonisch großzügig und kostspielig ausgestatteten - Bahnhofshalle sitzen, liegen und stehen Menschen jeden Alters und von vielerlei Herkunft rings um uns herum, streng bewacht von bärtigen, dunkelhäutigen Amtspersonen in langen, wallenden, reinweißen Gewändern, gekrönt mit makellos weißen Turbanen, ohne jegliche Rangabzeichen oder andere Unterscheidungsmerkmale, die majestätisch auf- und abschreiten oder abwechselnd die beiden Eingänge ins "echte" Dubai blockieren, hier einen Aufmüpfigen wort- und gestenreich zur Ruhe mahnen, dort mit stoischer Ruhe dem Wortschwall einer Beschwerde ihr Ohr leihen. Nach stundenlanger Zermürbung, so gegen halb zwei Uhr früh, ruft man uns zum Schalter. Jetzt sind wir dran.
Wir erhalten unsere Pässe - womit eigentlich keiner gerechnet hat - und ein Siebentage-Transitvisum. Unter "Name of Sponsor" steht The Dubai International Hotel eingetragen (was sicher nichts mit freier Kost und Logis zu tun haben wird), und der Sponsor garantiert mit Stempel und Unterschrift, daß wir, die gesponserte Partei, das Land innerhalb der Gültigkeitsdauer des Visums auch wieder verlassen werden, widrigenfalls er, der Sponsor, für jeden Tag Verzögerung 100 DHS Pönale zu zahlen sich bereit erklärt. Jetzt wissen wir, warum es so lange gedauert hat. Man hat den Hotelmanager wohl erst breitschlagen müssen. Wir schnappen unsere Siebensachen und folgen einer anonymen weißen Gestalt zum Ausgang Schrägstrich Eingang.
DUBAI: ZWANGSVERWÖHNUNG
Schräg gegenüber dem Flughafengebäude, vielleicht 150 Meter entfernt, weist eine riesige Leuchttafel den Eingang zu der dezent hinter Bäumen und Buschreihen verborgenen, ebenerdigen oder höchstens einstöckigen Luxusunterkunft, einem der fünf besten Hotels der Welt, das man uns zwangsweise verordnet hat. Selbstverständlich dürfen wir nicht zu Fuß gehen, der Hotel-Taxidienst würde uns allsogleich holen. Eine echte Airline Crew wartet ebenfalls auf den Zubringer, hat aber keine Chance gegen uns fünf grimmig blickende Buschpiloten. Wir entern, bar jeder Höflichkeit, den ersten Kleinbus, der sich bietet, und verpesten mit unserem Gestank das Fahrzeug innerhalb von zwei Minuten.
Am Empfang erhält jeder von uns zwei verschiedene Schlüssel ausgehändigt, wohl einen fürs Haustor (?), den anderen für das Zimmer. Unsere Suiten sind geräumig und mit allem Komfort ausgestattet, je zwei durch Zwischentüren miteinander verbunden. Die Kommunikation, die dadurch erheblich vereinfacht wird, setzt auch fast unmittelbar ein. Jeder klopft beim anderen und will wissen, wie die Kühlschranktüre aufgeht. Endlich der rettende Einfall: mit dem "Haustorschlüssel" selbstverständlich! Alkoholika für dekadente Ungläubige gibt es hier nur hinter verschlossenen Türen!
Ein erfrischendes Bad (ich kann in diesem Punkt nur für mich selbst sprechen, da ich nicht weiß, wie die anderen Ziegenböcke sich verhalten haben) beendet gegen drei Uhr früh meinen langen Tag, dann sinke ich ins weiche Bett und bald in Morpheus' Arme.
Die Nacht ist kurz, das Frühstück nicht so eindrucksvoll, daß es mir in Erinnerung geblieben wäre, die Lebensgeister sind jedoch wieder erwacht. Ein Anruf bei ATC ergibt nichts Neues, also wird die interne Pläneschmiede wieder angeleiert. Wie wir es aber auch drehen und wenden, um Saudiarabien kommen wir - im gegenständlichen wie im übertragenen Sinn - nicht herum. Irgendjemand, ich glaube, es war Herbert oder Thomas, hat schließlich die zündende Idee.
Da gibt es doch einen gewissen Herrn Stöckl, Österreicher, vormals Eigentümer der Montana Fluggesellschaft, der Gerüchten zufolge jetzt in Dubai lebt und den Jumbo des Scheichs pilotiert. Rasch ein Telefonbuch her! Tatsächlich, zwei STOCKL erscheinen im Register. Thomas fällt - wie immer - die Aufgabe des Telefonierens zu, er hat Herrn Stöckl vor Jahren in Trausdorf kennengelernt. Er läßt sich verbinden, schildert unsere Misere. Und Stöckl erklärt sich ohne Umschweife bereit zu helfen. Allah schenke ihm viel Glück und ein langes Leben!
Er vereinbart mit Thomas einen Termin, zu dem ein Vertreter von Dubai Airwing in der Hotelhalle warten werde, um alle Unterlagen abzuholen. Ab nun gibt es ringsum nur noch lachende Gesichter.
Die Badehosen werden ausgepackt, der Luxus-Swimmingpool gestürmt. Schöne Frauen, freilich nicht aus heimischer Produktion, wohl eher Stewardessen oder Ingenieursgattinnen, und braungebrannte Adonisse umlagern die raffinierte Anlage. Es riecht nach Geld, vornehmer Fadesse, Erd- und Sonnenöl. Inmitten des Pools befindet sich die Attraktion: eine Wasserbar. Die Ober servieren schwimmend - wahlweise kann natürlich auch von Land aus aufgetragen werden -, viel lustiger ist es aber, selbst an die Bar zu kraulen oder die Freunde zu schicken: "Geh, Burli, schwimm um ein Bier!"
Thomas geht im Stil des internationalen Jetsetters (keine Hunderasse!) mit Badehose und Rolex ins Wasser, beide erweisen sich nicht als wasserdicht. Behält er die eine züchtig an, so breitet er, milde verstimmt, die andere in zerlegtem Zustand zum Trocknen in die Sonne. Sie geht bald wieder, Gott sei Dank. Wir haben uns in einen lauschigen Pavillon zurückgezogen, um die sich rasch rötende Haut zu schonen, sind guter Dinge, lassen uns bedienen und schlürfen genüßlich Bier, Kaffee und Limonaden.
Als die Zeit der Zusammenkunft naht, Mittag ist längst vorbei, kleiden Thomas und ich uns wieder in die mittlerweile gesäuberten Uniformen. Steve Gulvin von Airwing Operations erscheint pünktlich, läßt sich das Was-bisher-geschah und Was-geschehen-sollte aus erster Hand nochmals erzählen - wir hätten längst eine Informationsbroschüre auflegen sollen, um Zeit und Stimme zu sparen -, zeigt sich kompetent und hilfsbereit und entwickelt in kurzer Zeit einen perfekt durchgestylten Schlachtplan. "Meet me in two hours at your Aircraft, ready for departure!" bestellt er uns für zwei Stunden später abflugbereit zum Flugzeug und verabschiedet sich mit den besten Wünschen.
Im vollen Vertrauen auf einen glücklichen Fortgang des Unternehmens packen wir in aller Ruhe und räumen unsere Zimmer. Thomas führt vor der Abreise noch einen längeren Disput mit dem Hotelmanager über die geschmalzene Rechnung, auf der man uns zwei Tage Aufenthalt berappen lassen möchte. Mittag sei nun mal vorbei, daher seien es zwei Tage, argumentiert das Management, für kaum 12 Stunden Aufenthalt zahle er keine zwei Tage, kontert Thomas, Zornesadern schwellen beiderseits, dann wird die Rechnung korrigiert und bezahlt, und man entläßt uns grußlos mit eisiger Miene. Das Haustaxi liefert uns wieder beim Airport Entry ab, und wir reisen, von Optimismus erfüllt, offiziell aus Dubai aus.
Alle Mann versammeln sich im Schatten der Skyvanflügel und harren nervös der kommenden Ereignisse. Da! Ein Wagen bremst, der Fahrer überreicht eine Klarsichthülle, offensichtlich gefüllt mit Telexen, verabschiedet sich und verschwindet wieder. Wir blättern erwartungsvoll und finden
- eine saudiarabische Überflugs- und Landegenehmigung für Dhahran mit der Freigabenummer PCA 227,
- eine syrische Überflugs- und Landegenehmigung für Damaskus mit der Freigabenummer DCA 358,
- diverse Kontaktadressen, Company-Frequenzen, Telex- und Telefonnummern, falls noch etwas schiefgehen sollte,
- sowie den gesamten Fernschriftwechsel zwischen DUAIR Dubai Airwing und den arabischen und syrischen Zivilluftfahrtbehörden.
An dieser Stelle nochmals dicken Dank an Mr. Stöckl!! Er hat das Unmögliche möglich gemacht!
Nun kann Herbert endlich den Flugplan nach Dhahran aufgeben - mit rund 360 Meilen vergleichsweise ein Katzensprung. Die Wetterberatung verspricht in 12.000 Fuß Winde aus 280° mit 20 Knoten bei einer Temperatur von +7° C und die Annäherung einer Gewitterfront, die derzeit vom Mittelmeer kommend aufs arabische Festland vorstößt. Bis Dhahran kein Problem. Es ist 18.53 Uhr Lokalzeit am 30. März, als sich die Skyvan in die Abenddämmerung erhebt, erleichtert um die schweren Wackersteine, die uns vom Herzen gefallen sind.
DUBAI - DHAHRAN
Wenn irgendeiner von uns im Unterbewußtsein noch kümmerliche Reste von Zweifeln nährte, nach unseren Erlebnissen in Dubai sind auch diese endgültig beseitigt: Jetzt kann ja nichts mehr schiefgehen! Wir bilden uns etwas darauf ein, daß wir uns bisher als durchschlagskräftige Mannschaft gezeigt haben, daß wir Durchsetzungsvermögen, Flexibilität und Einfallsreichtum bewiesen haben und im rechten Moment immer noch die notwendige Portion Glück hatten. Mit einem Wort: unser Selbstvertrauen schwebt an der Decke, die Stimmung ist auf dem Höhepunkt.
Unter uns verschwindet Dubai in der Abenddämmerung, wir überfliegen die Küstenlinie. Bald schon bricht die Nacht herein. Immer wieder beobachten wir Lichter tief unter uns, fallweise vereinzelt, dann wieder in größerer Ansammlung. Schiffe? Bohrinseln? Wir wissen es nicht. Später werden auch die Lichter spärlicher, einsam brummt die Skyvan über den arabischen Golf.
DHAHRAN
Zwei Stunden nach dem Start überfliegen wir Bahrein, bereits im Sinkflug für den Anflug auf Dhahran, und eine halbe Stunde später setzt Herbert unseren Flieger sanft auf das 3600 m lange Asphaltband der Piste 34R, 48 Fuß über dem Meeresspiegel. Wie schon gewöhnt, schickt man uns auf eine ausgiebige Rätselrallye bis zu einer Parkposition irgendwo am Ende der Welt, fernab der hellerleuchteten saudiarabischen Betriebsamkeit. Wir wissen es schon: kilometerlange Fußmärsche werden uns hier nicht erspart bleiben.
Die Arbeitsteilung ist schon Routine, Tanken, Zoll, Wetter- und Flugberatung, Flugplanaufgabe - jeder weiß, was er zu tun hat, wenn auch nicht jeder sofort weiß, welche Richtung er einzuschlagen oder wen er anzusprechen hat: ob Zöllner, Flugplatzchef oder Tankwart, alle tragen uniforme "Anstaltskleidung", Leintücher mit Sandalen. Der Sprit im Ölmekka ist der teuerste der Reise, die Landegebühr fällt fürstlich aus!
Wie schon nach den dubaischen Wetterprognosen vorauszusehen war, droht der arabische Wetterfrosch nun ganz ernsthaft mit einer Gewitterfront, die in den nächsten Stunden den Nordteil der arabischen Halbinsel von West nach Ost überqueren wird, und rät zu besonnenem Abwarten.
Burli und ich frequentieren das Coffee Shop, ehe auch wir uns gleich den anderen ins komfortable Hotel Skyvan zur Ruhe zurückziehen. Bald sägen alle Mann zufrieden an dem Ast, auf dem sie sitzen.
Die in Übereinstimmung mit der Wetterberatung festgelegte und von ATC genehmigte Abflugszeit ist 22 Uhr GMT, 1 Uhr früh lokal. Irgendwer wird wohl seinen Wecker gestellt haben, denkt jeder für sich beruhigt, bevor er ins Orchester einstimmt ... Bis dann eine laute Stimme mit leicht panischem Unterton die friedliche Idylle rüde unterbricht: "Auf, auf! Alles aufwachen! Der Flugplan läuft uns ab!"
Nach internationalen Gepflogenheiten läuft ein Flugplan für einen Instrumentenflug eine halbe Stunde nach der angegebenen geplanten Abflugszeit ab, danach ist ein neuer Flugplan aufzugeben. Unsere Erfahrungen mit der Erneuerung von Flugplänen - siehe Calcutta - lassen die Hektik, die nun ausbricht, im milden Lichte des Verständnisses erscheinen.
Thomas, noch nicht ganz aus dem Schlafsack geschält, wühlt schlaftrunken im Wäscheberg nach dem Handfunksprechgerät ("wo is' die Gurk'n"), erwischt nach gemeinschaftlichem Raten die richtige Frequenz und durch glücklichen Zufall den Einschalteknopf und stammelt sein Ersuchen zum Anlassen der Triebwerke in den Äther, was auch umgehend genehmigt wird, während sich Kapitän Herbert in Unterhose am Pilotensitz festschnallt und die restliche Crew mit Abziehen der Triebwerksabdeckungen, Überprüfen der Zusatztankanlage und Entfernen der unwichtigsten Gegenstände aus den wichtigsten Flugzeugteilen beschäftigt ist. Eine Minute vor Flugplanablauf sind wir mit laufenden Triebwerken rollbereit.
Die Cockpitmannschaft wäre in ihrem leichtgeschürzten Aufzug ein gefundenes Fressen für Skandal- und Klatschkolumnisten, versieht ihre Aufgabe aber hellwach und zur vollen Zufriedenheit. Um 1 Uhr 47 Lokalzeit hinterläßt die Skyvan ihren letzten Gummiabrieb auf saudiarabischem Beton.
DHAHRAN - DAMASKUS
Der Schuldige für die Adrenalinverschwendung der letzten 20 Minuten - vom Weckruf bis zum Takeoff - ist nach entspannendem gegenseitigen Anschnauzen bald gefunden: Es ist das Zeitmonster, das sein Unwesen trieb. Ein Uhrenvergleich ergibt die abenteuerlichsten Stellungen der verschiedenen Stundenzeiger, nur die Minutenzeiger sind in Reih und Glied in derselben Stellung ausgerichtet. Wollte der eine gar zu gerne wissen, wie spät es jeweils gerade in Singapur ist, woher wir ja letztendlich kommen, der andere in Wien, wo unsere Reise enden soll, so legte sich der dritte auf internationale Greenwichzeit fest, während der vierte versuchte, mit der jeweiligen Lokalzeit Schritt zu halten - er war zweifellos der ärmste, denn seit Singapur hatte er schon siebenmal nachzustellen. Der fünfte schließlich hatte keine Weckuhr, die er falsch stellen konnte, dafür ist er rechtzeitig aufgewacht.
Danach ist Wüste, Wüste auf der längsten Teilstrecke unserer Reise. 697 Nautische Meilen oder 1291 Kilometer saudiarabische Wüste, vergleichsweise magere 71 NM gleich 131 km jordanische Wüste und 95 NM oder 176 km syrische Wüste. Wir werden nicht viel davon sehen, Wüste ist in dunkler Nacht von oben schwarz wie Wasser oder Urwald, kein beleuchtetes Kamel, keine Oasenbefeuerung unterbricht die dunkelschwarze Monotonie.
Herbert ist genötigt, alle paar Minuten die Skyvan noch eine Spur kopflastiger zu trimmen, denn einer nach dem anderen bröckelt ab und zieht sich in den Hintergrund der Kabine zurück, um das unterbrochene Schläfchen fortzusetzen.
Der Himmel ist meist klar, manchmal auch verschwinden die Sterne fast in milchiger Trübung. Als es dann im hohen Norden Arabiens zu knistern, zu prasseln beginnt, denkt jeder zuerst an Regen, an Hagel. Aber hier, in einer der trockensten Zonen der Erde? Die Scheinwerfer beleuchten Myriaden waagrechter Lanzen, die von vorne die arme Skyvan durchbohren wollen. Bei konzentrierter Betrachtung klärt sich das Rätsel: Wir fliegen im Sandstrahlgebläse, an der Obergrenze eines Wüstensturms. Die Triebwerke werden's uns danken - sie dürfen jetzt endlich einmal feste Nahrung zu sich nehmen. Gott sei Dank ist der Spuk bald wieder vorbei, die Nerven dürfen sich wieder beruhigen.
Im Morgengrauen überfliegen wir den nördlichsten Flugplatz Saudiarabiens auf unserer Route - Turaif -, 14 Meilen vor der jordanischen Grenze. Thomas beginnt Funkverbindung mit Amman herzustellen.
Nach gegenseitiger Identifizierung schießt der Controller die erste Frage ab: "Wie lautet die Nummer Ihrer Überflugsgenehmigung?" Thomas ist perplex. Wir hätten keine Nummer, keine Überflugsgenehmigung, wir brauchten auch keine Überflugsgenehmigung, daher auch keine Nummer. Das sei nicht ganz so, wir brauchten sehr wohl eine Genehmigung. Nein, das glaube er nicht, kontert Thomas, in allen internationalen Publikationen stünde fettgedruckt: "No prior permission required", was so viel heiße wie eben behauptet: "Keine vorherige Genehmigung erforderlich".
So geht es eine Zeitlang mit großem Stimmaufwand hin und her. In den beiderseitigen Denkpausen, die eingelegt werden müssen, um neue Argumente zu formulieren, wird an Bord heftig die Frage ventiliert, was wir machen sollen, wenn Jordanien auf stur schaltet: umkehren oder weiterfliegen? Mittlerweile sind wir tief in jordanischem Luftraum, es ist hell genug, etwaige Abfangjäger schon von weitem zu erkennen, aber was hülfe es: Wir könnten zur Verteidigung nicht einmal mehr mit Bierdosen werfen ...
Für den Moment nimmt der jordanische Controller offensichtlich einmal zur Kenntnis, daß wir seinen Radarschirm verunzieren. Minutenlange Ruhe. Funkstille, die an den Nerven zerrt (wieder einmal). Wahrscheinlich macht Jordanien gerade mobil. Herbert tupft sich den Schweiß von der Stirn und schiebt die Gashebel noch einen Zentimeter weiter nach vorne.
Halb Jordanien liegt schon hinter uns, als ein neues Fragenpaket auf uns abgeschossen wird nach dem Woher und Wohin, nach Art und Zweck des Fluges, nach Passagieren und Ladung und vor allem nach dem Flugzeughalter mit Namen und Adresse. Ich weiß nicht, wie oft Thomas geduldig den Namen der Gesellschaft und zuletzt die Endresstraße buchstabiert, bis der Controller endlich alles mitbekommen hat. Jedenfalls vergeht über derlei Kurzweil die Zeit im Fluge - der gesamte Überflug über jordanisches Territorium dauert ja kaum eine halbe Stunde. Kurz vor dem Ausflug entschuldigt sich Amman wortreich, die Sache mit der Genehmigung sei ein Irrtum gewesen, man habe wahrscheinlich unseren Flugplan aus Dhahran nicht erhalten oder er sei verlorengegangen, und man wünsche gute Weiterreise. Frei nach Otto: "Kleinhirn an Großhirn: ABREGEN!"
Wir sind in Syrien. Der neue Gesprächspartner grüßt freundlich und gibt unseren Flug bis Damaskus frei. Erste Frage an uns nach Abwicklung des technischen Teils: "How many VIP's you have on board?" Thomas runzelt zuerst die Stirn in purem Unverständnis, wird dann nachdenklich und kämpft zuletzt gegen einen Heiterkeitsausbruch. Es tue ihm sehr leid, tut er kund und zu wissen, wir beförderten außer uns selbst keine Very important Persons, keine hochgestellten Persönlichkeiten. Betretenes syrisches Schweigen folgt dieser Eröffnung. Da das Emirat von Dubai hochoffiziell Einflugs- und Landeerlaubnis für uns erwirkt hat, hat man wahrscheinlich mindestens mit einigen regierenden Fürsten gerechnet. Jetzt werden die roten Teppiche am Vorfeld vermutlich gerade wieder eingerollt, während wir, erheitert und schadenfroh, die letzten Meilen abspulen.
Die fliegende Besatzung strengt sich nach Kräften an, gerade hier in Syrien besonders exakt zu navigieren, warnte uns ein NOTAM (eine Verlautbarung für die Luftfahrt) doch sehr eindringlich: "Piloten von Luftfahrzeugen ... werden aufs ernsteste angewiesen, im Interesse der Sicherheit exakt entlang der Mittellinie der Luftstraßen zu operieren und Zweiwegfunkverbindung mit Damaskus/ACC ... so früh wie möglich aufzunehmen." Die echten Krisengebiete des nahen Ostens umgeben uns jetzt, und aus unserer Höhe erstreckt sich der Blick sowohl auf irakisches Staatsgebiet zu unserer Rechten wie in den Libanon und nach Israel, wenn wir aus den linken Fenstern spähen.
Unter uns hat sich der Wüstentyp gewandelt, gelber Sand ist hell- bis dunkelbrauner Landschaft gewichen, das Gelände erscheint uns felsig und unwegsam, riesige runde Krater, deren Herkunft rätselhaft bleibt, drängen den Vergleich mit unserem Erdtrabanten auf. In unregelmäßigen Abständen überfliegen wir Wüstenforts und Fahrzeugkolonnen, die lange Staubwolken hinter sich herziehen.
Damaskus liegt am Ende einer Seitengasse der Luftstraße R19, einer Sackgasse, die an einem Funkfeuer endet wie ein halbfertiger Roman ohne Fortsetzung und damit das Schicksal vieler Luftverkehrswege in dieser Gegend teilt. Bei herrlich klarer Sicht, die Sonne im Rücken, sinken wir der schon von weitem sichtbaren Piste 23R von Damascus International entgegen. Es geht auf 6 Uhr GMT, 8 Uhr in Damaskus. Nur noch eine Stunde (leider nicht Flugzeit) trennt uns von Wien.
DAMASKUS
Gelb, grau und braun überwiegen. Bunte Farbflecken suchen wir vergebens. Nur unmittelbar vor uns kennzeichnet ein schwarzer Punkt, der sich unendlich langsam zu einem Strich entzerrt, die Aufsetzzone der Piste von Damaskus. Die Radarführung ist perfekt, bei der klaren, ungetrübten Wüstenluft haben wir den Flughafen aber schon lange in Sicht. Zwei Minuten nach sechs Uhr morgens landen wir auf Damascus International. Mit sieben Stunden und fünfzehn Minuten haben wir soeben die längste Etappe unserer Reise hinter uns gebracht.
Der Empfang ist überaus freundlich. Ein Beamter im Kaftan, dessen Funktion vom Sicherheitsbeamten bis zum Fremdenführer reichen mag, bietet seine Dienste an, der Zoll interessiert sich kaum für das Innere der Skyvan, sammelt nur wenige General Declarations ein - wir haben mehr Formulare im voraus ausgefüllt als verlangt werden -, der Tankzug ist schon im Anrollen, nachdem wir bereits über Funk darum gebeten haben. Bevor wir dem "Führer" zur Flugberatung folgen, meint er mit entwaffnender Ehrlichkeit: "I show you all you need. And: If you want to give me a Bakshish, give me!" Ich zeige euch alles, was ihr braucht. Und wenn es Ihr Wunsch ist, Bakschisch zu geben, dann geben Sie. Klar, wir geben. Eine Rolex und ein paar Dollars finden sich noch immer für notleidende Flughafenangestellte.
Auch in der Flugberatung überschlägt man sich förmlich vor Hilfsbereitschaft, überhäuft uns mit gutgemeinten Ratschlägen, informiert uns über die Details des Abflugverfahrens, entwickelt mit wissenschaftlicher Akribie die Wettersituation bis hin nach Wien und ist sogar in der Lage, aktuelle Wetterberichte aus so heimatlich klingenden Orten wie Graz, Linz und Wien vor uns auszubreiten. Diese Berichte holen uns unvermittelt aus hochsommerlichen Äquatorregionen, gewittrigen Monsunängsten und sandstrahlenden Wüstenwinden wieder in die Realität eines mitteleuropäischen Frühlingsbeginns.
Noch aber schwitzen wir in unseren schmucken, wenn auch nicht ganz vollständigen Uniformen. Seit Dubai ungewaschen und ohne warme Mahlzeit, ohne Kaffee und alkoholisch "trocken", wissen wir das Angebot eines warmen Catering-Menüs für die ganze Mannschaft wohl zu schätzen. Nachdem wir nach Bezahlung der Gebühren, Befriedigung der syrischen Formular-Bürokratie und Flugplanaufgabe und versehen mit den besten Wünschen für den Weiterflug alle wieder am Flieger zusammengetroffen sind, opfern wir noch eine halbe Stunde, um auf unsere Menüs zu warten.
Bald schon rollt ein kleiner Lieferwagen längsseits und entlädt jede Menge von Warmhaltepackungen im Kunststoffgeschirr mit Plastikbesteck. Der Preis der Köstlichkeiten, der sich - ohne Rechnung, aber höflichkeitshalber verlangen wir gar keine - auf über 150 US$ beläuft, verdirbt zwar ein klein wenig den Appetit, insgesamt gesehen aber hebt sich dennoch die Stimmung. Alles kaut, schlingt, schlürft, schmatzt, auf den Knien, auf dem Boden, im Stehen. Der letzte ist noch lang nicht fertig, da bricht schon wieder Abflugshektik aus. Wir wollen heute noch zuhause sein, ob mit Magengeschwüren oder ohne.
DAMASKUS - THESSALONIKI
Wieder haben wir es unter zwei Stunden geschafft, von der Landung bis zum Wiederstart. Über dem Funkfeuer DAM, dem Ende der syrischen Sack-Luftstraße, gewinnen wir Höhe, ehe der Controller uns in Richtung Osten entläßt. 63 Meilen müssen wir zur Kreuzung mit der Hauptluftstraße zurückfliegen, um den Libanon weit genug zu umgehen. Es gäbe zwar noch einen anderen, kürzeren Weg, aber in der Routenkarte steht da lakonisch CLOSED. Im gemächlichen Steigflug, die Tanks und Mägen wohlgefüllt, arbeiten wir uns auf unsere gewohnte Reiseflughöhe - Flugfläche 140 oder 4250 m über dem Meeresspiegel - hinauf. Es wird wieder angenehm kühl.
Nach gut eineinhalb Stunden über Land, nach ungewohnt häufigen Richtungänderungen - schon zweimal in dieser kurzen Zeit, das ist ja ein richtiger Zickzackflug! - schält sich aus dem blendend hellen Dunst, der mittlerweile unter uns liegt, eine verhältnismäßig dunklere Fläche: das Mittelmeer. Beim Funkfeuer Banias, das unmittelbar an der Küste liegt, knicken wir ein drittes Mal nach links, dann liegt bis zur Südküste von Zypern wieder einmal nur noch Wasser unter uns. Wasser aber, das sozusagen schon zur Familie gehört, mit österreichischem Sonnenöl und österreichischem Gletscherwasser darin. Jetzt ist Mutti nicht mehr weit.
Zypern ist ja nicht gerade riesengroß, dennoch teilt auch hier die Politik die Flugsicherung in zwei Teile. Der Türke, der uns zuerst betreut, übergibt uns später an seinen griechischen Kollegen. Von den Spannungen in dieser Region ist aber in der sachlichen Atmosphäre am Funk nichts zu spüren. Beide Controller sind voll ausgelastet, reden ohne Unterlaß. Als wir Larnaca - unseren Ausweichflugplatz auf dieser Etappe - überfliegen, überholt uns tief unten ein Spielzeug-Jumbo im Anflug auf den Flughafen. Er scheint aus unserer Perspektive knapp über dem Wasser dahinzudüsen, nur die fehlende Bugwelle beweist, daß er noch fliegt.
Als die Luftstraße - schon wieder - ins Inselinnere abbiegt, türmen sich über den Bergen gewaltige, im Flutlicht der Mittelmeersonne strahlend weiße, scharf umgrenzte Cumuluswolken, die ersten Wolken, die wir tagsüber seit Singapur gesehen haben. Man hat die Wolken aber glücklicherweise abseits unseres Flugweges aufgebaut, offensichtlich, um uns zu erfreuen und nicht, um uns zu ärgern. Mit der Insel verschwinden auch die Wolken in unserem Rücken.
Neuerlich vergehen eineinhalb Stunden, ehe der Ausguck "Land in Sicht" vermelden kann. Es ist Rhodos, dessen nördlichen Zipfel wir berühren. Auch die Wolken sind wieder da, meist unter uns, selten höherragend, nur vereinzelt auf unserer Route, aber immer umfliegbar. Sie werden uns nun bis zur Landung erhalten bleiben. Inseln liegen nun unter uns verstreut, Cumuli und Inseln in Serie, in Reihe und in Kette. Die asiatische Langeweile des ewigen Lächelns beginnt langsam europäischer Betriebsamkeit, Abwechslung und Miesepetrigkeit zu weichen. Womit nur das Wetter, und auch das nur zu jener Jahreszeit gemeint sein soll.
Die Zeit vergeht für mich auf diesem Abschnitt ziemlich rasch, wohl weil ich seit knapp nach dem Start selber am "Knüppel" sitze. Erst im Anflug auf Thessaloniki übergebe ich wieder an Herbert, der routiniert die Landung meistert. Europa hat uns wieder, das erste Land, für das wir keine Überflugs- und Landegenehmigung benötigten, wenn wir vom Grenzfall Jordanien einmal absehen wollen.
Die sieben Stunden Flugzeit hat diesmal eigentlich keiner als besonders anstrengend empfunden - besonders nicht diejenigen, die hinten geschlafen haben -, alles ist aufgekratzt und geistig schon zuhause. Ob man uns standesgemäß empfangen wird? Oder ob niemand da sein wird außer einem Heer von Beamten, um uns Schwierigkeiten zu machen? Zwei Rolex haben wir im Notfall noch ...
THESSALONIKI
31. März 1986, 16.00 Uhr MEZ. Europa hat uns wieder. Die Mannschaft ist durchwegs zum Umfallen müde, aber aufgekratzt. Der Himmel ist verhangen, die Temperatur endlich gewohnt-erträglich. Die Betriebsamkeit des Flughafens hält sich in Grenzen, auch die verlangten Formalitäten entlocken Asienreisenden kaum ein müdes Lächeln. Keine bakschischheischenden Stielaugen, keine Flug- und Wetterberatungsstellen tief im Landesinneren, kein Stafettenlauf zur Stempelsammlung, keine Uhren loszuwerden, aber auch kein Kaffee zu kriegen und vor allem kein Tankwagen weit und breit.
Erst umfangreiche Nachforschungen und Urgenzen verschaffen uns das kühle Naß. Als der Tanker dann wieder abfährt, ohne kassiert zu haben, haben wir sogar noch Mühe, unser Geld loszuwerden. Spritpreis und Landegebühr sind unglaublich niedrig, einer meint, vielleicht sind wir hier auf einem Modellflugplatz. Für 70 Schilling (DM 10,--) landest du in Mitteleuropa nicht einmal auf einem Rübenacker.
Inzwischen sind selbstverständlich alle Beratungen eingeholt, der Flugplan für die letzte Etappe aufgegeben. Die wenigen Aufgaben, die wir hier zu erfüllen hatten, hätten kaum die halbe Crew ausgelastet.
THESSALONIKI - WIEN
Nach 1 Stunde 44 schiebt Herbert die Gashebel wieder auf Startleistung. Wir starten auf der Piste 35, die uns unmittelbar nach dem Abheben übers Wasser führt. Alle Mann sind übermütig, und eine ganze Weile zischen wir in niedriger Höhe über den Meeresspiegel. Erst als wir sicher sind, den Radarcontroller jetzt endgültig aufgeweckt zu haben, zieht Herbert mit Überfahrt steil in den Himmel.
Bis zur griechisch-jugoslawischen Grenze macht sich wieder allgemeine Schläfrigkeit breit. Erst hier wird es wieder ein wenig spannender: Das erste Funkfeuer auf jugoslawischem Boden ist nicht zu empfangen. Die Routenfreigabe, die uns Zagreb erteilt, hört sich chinesisch an: Lauter Funkfeuer- und Luftstraßenbezeichnungen, die an Bord noch kein Mensch je gehört hat.
Nach der Rückfrage "Say again route clearance" kommt das selbe Kauderwelsch erneut aus den Kopfhörern. Die Verständigung ist gut, unser Verständnis jedoch schwankt je nach Mentalität zwischen Kopfschütteln und totaler Planlosigkeit. Das soll Jugoslawien sein, dasselbe, das wir auf unseren schweißfeuchten Jeppesen-Streckenkarten soeben in unseren Händen zerknüllen? Auf eine zweite Rückfrage hin tritt in Zagreb augenscheinlich Plan B in Kraft: Der Controller buchstabiert alles nach dem einleitenden "This is Zagreb Control" mit monotoner Stimme und großer Geduld.
Jetzt können wir wenigstens mitschreiben. Kauderwelsch in Reinschrift. Unverständlich wie Buchstabensuppe. Wir veranlassen die Kontrollstelle Zagreb, zum letzten Mittel zu greifen, Plan C (Plan D wäre Funksperre wie beim Taxifunk für unfolgsame Lenker): Mit nun schon demonstrativ gelangweilter Stimme - wahrscheinlich waren wir auch nicht die ersten, denen es heute so ergangen ist - nennt er nunmehr die Kennungen neuer Funkfeuer, ihre Lage durch Angabe von Entfernungen und Richtungen, bezogen auf uns bekannte (griechische und österreichische) und ihre Frequenzen und entwickelt so über Funk das neue Luftstreckennetz der Republica Jugoslavia vor uns. Gerade erst in Kraft getreten.
Thomas malt fieberhaft in unsere Streckenkarte. Da der Skyvanpilot ohne Schreibtisch auskommen muß, schaut die Karte nach vollbrachter Aktion aus wie nach einem Schuß mit einer Schrotflinte: An allen markanten Punkten und auch mal dazwischen hat der Kugelschreiber das Papier durchbohrt. Jetzt können wir uns beruhigt zurücklehnen und endlich wieder ohne Streß von Loch zu Loch fliegen.
Es war kein verfrühter Aprilscherz, aber genau mit heutigem Datum hat sich das Funkfeuer- und Streckennetz Jugoslawiens radikal geändert. Das scheint sich auch bis Thessaloniki noch nicht herumgesprochen zu haben, denn man hat unsere Streckenwahl im Flugplan, die gegenüber diesem neuen Kauderwelsch ja auch wirklich allgemein verständlich war, anstandslos zur Kenntnis genommen: Oder ist etwa das gute alte
>> LAMBI - G18 - RBT - BI - SAR - A40 - ZAG - B9 - GOLVA - SNU <<
nicht ganz was anderes als dieses
>> LAMBI - G18 - SKJ - BUI - W35 - MOJ - GAC - SPL - B9 - VRL - OMA - ZAG - GRZ - G37 - SNU << ??
Bevor uns jemand der mangelhaften Flugvorbereitung zeiht: Alle Welt, angefangen vom Linienflugzeugsoberkapitän bis zum Instrumentenflugschüler, fliegt nach Jeppesenkarten. Die Firma Jeppesen stellt alle Arten von An-, Abflugs- und Streckenkarten für alle Instrumentenflugrouten und Flugplätze der ganzen Erde, die über Instrumentenflugeinrichtungen verfügen, her. Diese Werke können, getrennt nach Erdteilen oder Erdteilteilen oder auch länderweise samt Berichtigungsdienst gekauft werden. Die wöchentlichen Berichtigungen stürzen den Piloten in stundenlange Austausch-, Vernichtungs- und Ergänzungsarbeit, vor allem, wenn der Vielbeschäftigte einmal zwei oder drei Wochen nicht dazugekommen ist. Für Flüge wie den unseren gibt es sogenannte Trip Kits (Reiseausrüstungen), die ohne Berichtigungen einmal erstanden werden und nur alle jene Informationen enthalten, die für einen einmaligen Fernflug vonnöten sind.
Genau solch ein Trip Kit hatte uns bis zur jugoslawischen Grenze unschätzbare Dienste erwiesen. Alle Änderungen der letzten vier Wochen scheinen sich aber nun auf hier und heute konzentriert zu haben.
Na, das Problem ist jedenfalls gelöst. Als der vorgeschriebene (Ab)Meldepunkt an der jugoslawisch-österreichischen Grenze näherkommt, wir aber keine Ahnung haben, wie er heißt oder wo genau er liegt (er heißt auch heute noch GOLVA und hieß immer so, ha ha), ist uns das jetzt auch schon wurscht: Graz VOR kann längst empfangen werden, der Ablagezeiger "knotzt" in der Mitte, wo er hingehört, und Österreichisch mit englischem Akzent haben wir auch schon vernommen.
Die Nacht ist sternenklar. Alles schart sich im Cockpit, Lichtermeere unter uns werden lautstark im heimatlichen Idiom identifiziert: "Geh, Wiener Neustadt, bist deppert, des is schon Baden!" Wien Radar empfängt uns wie ein normales Flugzeug, nüchtern, ohne Jubelschreie und Bundeshymne. Was wissen die denn schon von unserem Abenteuer.
WIEDER DAHEIM
Ein letzter Sinkflug, ein letzter Anflug, die letzte Landung. "Ground time zero nine, cleared to GAC" - gelandet 22.09 Uhr, rollen Sie zum Zentrum der Allgemeinen Luftfahrt.
Der Vorplatz des GAC ist hell erleuchtet und voller Menschen. Welcher Scheich wird denn hier erwartet? Oder gilt der Empfang gar uns. Na klar, bekannte Gesichter, eine bekannte Hundeschnauze! Der Begrüßungsrummel ist unbeschreiblich. Das GAC hat Silvia aufgrund unseres Flugplans von der geplanten Ankunftszeit unterrichtet, und sie hat dann alle zusammengetrommelt, die einmal unvorsichtigerweise geäußert hatten "Geh, wenn du hörst, daß sie kommen, ruf mich an."
Ich könnte gar nicht mehr alle Namen zusammenbringen, und um zu vermeiden, daß ich einen vergesse, nenne ich nur die Leute "mit offizieller Funktion": Silvia mit Kindern und Petra mit Flughund als Familienangehörige, Josef Eisnecker, "unseren" Prüfer, der die Skyvan in Singapur zugelassen hat und nun sehen will, ob er noch einmal davongekommen ist, Hans Huber als Hoffotografen (Spezialist für Gruppenbilder), der die Ankunft dokumentiert u.v.v.a. Dank euch allen, auch denen, die verhindert waren, es ward uns richtig warm ums Herz.
1986 - 1996, 10 JAHRE PINK
Das kurze Abenteuer war in jener Nacht in Wien-Schwechat zu Ende. Jetzt folgte das lange, das bis heute andauert. Inzwischen sind wir - vergleiche den ersten Satz der Pink Story - auch nicht mehr fünf, sondern nur mehr drei. Und die Skyvan, die uns soviel Mühe und Schlaflosigkeit, Geld und Sorgen gekostet hat, ist inzwischen im Flugzeughimmel gelandet. Heute operieren wir mit einer Schwesterskyvan, die wir Ende April 1993 aus dem vergleichsweise vor der Haustür liegenden Athen eingeflogen haben.
Da viele von jenen, die an einem Fortsetzungsbericht vielleicht interessiert wären - Fallschirmspringer, Piloten, Luftfahrtinteressierte - diesen zweiten Teil des Abenteuers aber aus eigener Anschauung ohnedies bereits kennen, weiß ich nicht so recht, ob es sich lohnen würde, eine solche Fortsetzung überhaupt niederzuschreiben.
Vielleicht irgendwann einmal, wenn mir irgendjemand gut zuredet und ich mir die Zeit dazu nehme ...
Gerhard Apeldauer